Und gibt es Schätzungen zur ukrainischen Mobilmachung? Bei einer Bevölkerung von 44 Millionen müsste man ja theoretisch Millionen in die Schlacht werfen können. Praktisch braucht es dafür natürlich auch die Ausrüstung und Logistik. Aber wie weit ist man damit? Kämpfen im Moment neben regulären Soldaten "nur" Freiwillige und Reservisten, oder werden Männer aktiv in den Dienst gepresst?
Die Ukraine hat prinzipiell die Mobilmachung verkündet, allerdings gibt es da gewisse einschränkende Faktoren.
Die Ausrüstung und Logistik hast du bereits angesprochen, ein weiterer Punkt ist die Ausbildung, immerhin hatte die Ukraine vor 2014 die Wehrpflicht ausgesetzt, und hat daher "weiße Jahrgänge", aber auch von den Reservisten, die noch gedient haben, brauchen wohl die meisten ein Auffrischungstraining.
Mittlerweile sind bereits einige dieser Reserve-Einheiten bereit, aber das Ganze ist ein Prozess. Dementsprechend ist es auch so, dass es keine Zwangseinziehung von Wehrpflichtigen gibt, da man noch auf absehbare Zeit damit beschäftigt sein wird, diejenigen auszubilden und auszurüsten, die sich freiwillig gemeldet haben.
Wobei freiwillig in dem Fall ein breiter Begriff ist. Neben Leuten, die sich völlig aus eigenem Willen gemeldet haben, gibt es solche, die von ihrem sozialen Umfeld unter Druck gesetzt werden, und solche, die gezögert haben, bis sie gesehen haben, dass ihre Überlebenschancen als Zivilisten womöglich sogar geringer sind, wenn die Russen in ihrer Region einfallen (in Butscha hatte die russische Armee ja gezielt alle männlichen Zivilisten in wehrfähigem Alter ermordet, während in anderen Regionen ukrainische Zivilisten von der russischen Armee zwangsrekrutiert werden, um als Kanonenfutter zu dienen).
Ich kann euch nur sagen, was uns der Onkel meiner Frau berichtet hat. Gleich zu Beginn des russischen Überfalls wurden alle Männer ihres Heimatdorfes unter 60 Jahren gebeten, wirklich gebeten, sich zu einer bestimmten Uhrzeit im Dorfzentrum einzufinden. Proviant für drei Tage sollte eingepackt werden. Ein LKW kam dann an und hat ca. 20 Männer aufgeladen und dann nach Luzk transportiert. Dort wurden die Männer befragt, wer eine militärische Ausbildung genossen hatte und welche Berufe sie ausüben. Dann hat man ein paar Frewillige nach Osten transportiert und in irgendwelche Einheiten integriert. Der Rest wurde entweder nach Hause geschickt oder wurde für Dienste an Checkpoints an den Nationalstraßen eingeteilt, die sie dann turnusmäßig im Wechsel bis heute zu absolvieren haben. Für diese Personen gab es dann nur einen Helm, eine Kalaschnikow und einen Gurt mit Magazinen. Das war es eigentlich schon.
So dürfte es in vielen ländlichen Gebieten der Ukraine zugegangen sein.