Je näher man der Grund- und Oberschule im brandenburgischen Burg kommt, desto schweigsamer werden die Leute. Eine Lehrerin und ein Lehrer haben angekündigt, die Schule nach Anfeindungen von rechts zu verlassen, dazu finden der brandenburgische Bildungsminister und sogar der Bundespräsident Worte. Doch der parteilose Bürgermeister von Burg, Hans-Jürgen Dreger, sagt: "Ich sage Ihnen gleich, dass ich nichts sage." Die Schulleiterin kommt schwer genervt zur Tür und weist darauf hin, dass man sie auf keinen Fall zitieren dürfe.
Durch Burg fährt eine Bimmelbahn, die sich Rumpel-Guste nennt. Vorbei an Minigolfplatz und Thermalbad, am Bismarckturm und am Festplatz. Auch vorbei an den vielen Kanälchen, die den Spreewald durchziehen und durch die man mit Kanus selbst paddeln oder sich bei der Hitze in Kähnen von anderen schieben lassen kann. Man kann am Marktplatz Eis essen oder gutbürgerlich im Deutschen Haus. Das wird betrieben von einem Mann, der laut Verfassungsschutz zur rechtsextremen "Kampfgemeinschaft Cottbus" gehört.

Und in der Schule kann man ab und zu Hakenkreuze sehen. Das wurde deutschlandweit bekannt, als die Lehrerin Laura Nickel und der Lehrer Max Teske im April einen Brandbrief schrieben und rechtsextreme Tendenzen bei manchen ihrer Schüler beklagten. Zunächst anonym. "Schulmobiliar wird mit Hakenkreuzen beschmiert, rechtsextreme Musik wird im Unterricht gehört und das Rufen von demokratiefeindlichen Parolen füllt die Schulflure", schrieben sie. Sie wandten sich an die Öffentlichkeit, weil sie "eine Mauer des Schweigens und der fehlenden Unterstützung" seitens Schulleitungen, Schulämtern und Politik beklagten. Sie kritisierten Schüler, Eltern und Kollegen.
Die Schulleiterin wiegelte zunächst ab. Sie habe schon schlimmere Jahrgänge als diesen gesehen, sagte sie ZEIT ONLINE im April. "Diese Jungs sind Teenager, sie sind in der neunten Klasse und suchen ihren Platz. Sie wollen sich ausprobieren." Dennoch kam einiges in Bewegung, die beiden Lehrkräfte wurden vom Ostbeauftragten der Bundesregierung zum Gespräch geladen, die Schule in Burg feierte Ende Juni ein "Schulfest der Demokratie und Vielfalt" und laut Brandenburgs Bildungsminister wurde ein Coaching für die Schulleitung organisiert. Der Leiter und zwei Schulräte vom Schulamt Cottbus hätten sich zudem um die Schule gekümmert, wobei offen bleibt, was das bedeutet.

Viele der Aufkleber sind inzwischen wieder entfernt. © Hannes Jung für ZEIT ONLINE
Beleidigung, Aufforderung zu Straftaten, Sachbeschädigung
Doch statt besser wurde es nach dem Brandbrief von Nickel und Teske schlimmer: Im Ort wurden Sticker angeklebt, darauf zu sehen Fotos der beiden, auf anderen steht, mit unmissverständlicher Botschaft: "‘Pisst euch nach Berl*in." Die Verkürzung macht es nicht weniger unfreundlich. Der Staatsschutz hat mittlerweile die Ermittlungen übernommen, sagt eine Sprecherin der Polizei Cottbus. Die Vorwürfe unter anderem: Beleidigung, Aufforderung zu Straftaten, Sachbeschädigung. 60 Aufkleber im gesamten Ort habe man entdeckt, wohl in einer geplanten Aktion in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch geklebt. Hinzu kommen Hetz-Posts auf einem Instagram-Kanal. Zu konkreten Tatverdächtigen wolle man sich derzeit noch nicht äußern, sagte die Sprecherin. Die Behörde hat den beiden eigene Kontaktpersonen zugeteilt. "Wir schützen sie."
Nickel und Teske haben nun ihre Versetzung zum Schuljahresende beantragt. "Es war schon klar, dass es so weit kommt", sagt der 31-jährige Teske ZEIT ONLINE am Telefon. Er sei in der Gegend aufgewachsen. Die Rechtsextremen in Burg würden als Unternehmer im Ort respektiert. Seine Kollegin und er hätten Schülern und Lehrkräften gegenüber die Verantwortung, die Schule aus dem Fokus zu nehmen. Vertreter der rechtsextremen Kleinpartei "Der III. Weg" hatten sich vor der Schule aufgebaut und Schüler angesprochen. "Wer weiß, ob die AfD Jugend, die ja als rechtsextrem eingestuft wird, nicht auch noch auf solche Ideen kommt." Natürlich legten die Rechten ihren Weggang nun als Sieg aus, das weiß auch Teske.

Die Grund- und Oberschule "Mina Witkojc" in Burg © Hannes Jung für ZEIT ONLINE
Man sieht dem Ort Burg nicht gleich an, dass er ein Problem mit rechten und rechtsextremen Umtrieben hat. Manche hier sagen auch, die gebe es gar nicht. Andere sagen, sie seien verwundert, dass so etwas jetzt bekannt wird. Wieder andere sagen, als ginge es ums Wetter: "Das ist doch in anderen Orten in Brandenburg auch nicht besser."
Das ist nicht völlig falsch. Nach dem Brief von Teske und Nickel meldeten sich auch Lehrkräfte aus Spremberg, Cottbus und weiteren Orten mit ähnlichen Berichten. Burg liegt im Süden Brandenburgs rund 20 Kilometer nördlich von Cottbus. Schaut man auf die Zahlen, dann zeigt sich: Politisch ist das Spreewälder Städtchen längst von rechten Strömen unterspült. Bei der Bundestagswahl 2021 kam die AfD hier auf mehr als 25 Prozent, bei der Landtagswahl zwei Jahre zuvor holte der AfD-Kandidat für den Wahlkreis das Direktmandat. Noch gibt es Gegenwehr: Der ehrenamtliche Bürgermeister Hans-Jürgen Dreger, ein parteiloser Rentner, hatte einen Monat nach Bekanntwerden des Lehrer-Brandbriefs in einer Videobotschaft versichert, den Ort vor rechtsradikalen Auswüchsen zu schützen und sich für Toleranz und Mitmenschlichkeit einzusetzen. "Ich als Bürgermeister werde alles dafür tun, dass so etwas nie wieder passiert."
Gelungen ist ihm das offensichtlich nicht. Schon kurz nach dem Lehrerbrief marschierten die Rechtsextremisten vom III. Weg durch Burg und verteilten "Infoschriften" an die Anwohner. Die "Nationalrevolutionäre Jugend" tauchte vor den Schulen auf, um die Schüler im "‘demokratischen’ Trommelfeuer" nicht "im Stich" zu lassen, wie es auf der Internetseite heißt. Zu den Versetzungsanträgen der beiden Lehrer aus Burg twitterte der AfD-Kreischef: "Bürgerliches Engagement wirkt: Linksradikaler Denunziant verlässt #Burg|er Schule."
"Ich bin erschüttert" sagt eine ehemalige Lehrerin

Blick vom Bismarckturm © Hannes Jung für ZEIT ONLINE
Der Brandenburger Verfassungsschutz hat den Süden des Landes, vor allem Cottbus und die Lausitz, schon vor vielen Jahren als Region mit besonders ausgeprägter Neonazi-Szene identifiziert. In Cottbus, wo auch das zuständige Schulamt für Burg sitzt, wurde die AfD bei den Kommunalwahlen 2019 mit mehr als 22 Prozent stärkste Kraft.
Am Freitagvormittag steht am Ortsrand eine ältere Dame in einem Feld und schneidet Blumen. Sie will ihren Namen nicht nennen aus Angst vor Anfeindungen, aber reden will sie schon. "Ich bin erschüttert", sagt sie, und wütend auf die Schule sei sie auch. Mehr als 40 Jahre habe sie selbst dort unterrichtet, das sei aber schon zwei Jahrzehnte her. Sie habe die Achtziger mitbekommen, die Wende und die Neunziger, aber so etwas wie das, was jetzt berichtet wird, habe sie nicht erlebt. Man kann es sich nur schwer vorstellen, wenn man an die Baseballschlägerjahre in Ostdeutschland denkt, aber sie beteuert, nie rechtsextreme Umtriebe an ihrer Schule erlebt zu haben. Gleichzeitig glaubt sie sofort, was nun berichtet wurde, es wurde ja auch von anderen Schülern und Beteiligten bestätigt. "Die Politik hat hier richtig doll versagt", sagt die Frau. Ihre Familie habe selbst Ferienwohnungen in der Gegend, die Gäste würden sie schon darauf ansprechen und überlegen, ihre Buchungen zu stornieren. "Die Politik muss viel mehr dagegen unternehmen und die Leute dabei unterstützen", sagt die Rentnerin. Aber was das sei, das wisse sie auch nicht.

Festspielhaus Burg. Manche im Ort sagen, rechtsextreme Umtriebe gebe es gar nicht. © Hannes Jung für ZEIT ONLINE
Bereits seit 1991 beobachtet die Studie "Jugend in Brandenburg" unter anderem extremistische und ausländerfeindliche Haltungen bei unter 18-Jährigen. Ende Juni kam die Kinder- und Jugendbeauftragte des Landes aufgrund der neuesten Erhebung zu dem Schluss, dass sich der pädagogische und repressive Ansatz der Brandenburger Politik bei der Jugend verfangen habe. Kinder und Jugendliche erlebten, wie Demokratie funktioniere. "Ihre Widerstandskraft gegen populistische und vereinfachende politische Strömungen" könne so wachsen. All die Bildungsangebote hätten "durchaus Erfolge erzielt".
Die Zahlen, die sie dazu präsentiert, geben diese Schlussfolgerungen jedoch nur schwerlich her: Etwa 44 Prozent der Jugendlichen sind demnach der Meinung, es gebe in Brandenburg zu viele "Ausländer", gut 48 Prozent denken, dass "Ausländer" zu Problemen auf dem Wohnungsmarkt führen. Nahezu die Hälfte meint, dass "Schluss mit dem Gerede über unsere Schuld gegenüber den Juden" sein solle. Jeweils fast ein Viertel glaubt, dass der Nationalsozialismus "auch seine guten Seiten gehabt" habe und die Deutschen "anderen Völkern überlegen" seien.

Im Landkreis Spree-Neiße, in dem Burg liegt, sind die Ortsschilder auf Deutsch und Sorbisch beschriftet. © Hannes Jung für ZEIT ONLINE
"Für den gesamten Ort eine Niederlage"
Dass Menschen, die sich gegen rechts engagieren, eingeschüchtert und bedroht werden, gehöre eigentlich fast schon zum Alltag, sagt Joschka Fröschner, Berater für die Organisation Opferperspektive, die sich in Brandenburg um Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt kümmert. Die Haltungen und Social-Media-Posts der AfD würden dafür ganz bewusst den Boden bereiten. Die Partei habe auch in bürgerlichen Milieus eine ungeheure Strahlkraft entfaltet. Mit den beiden Lehrern, die den Ort nun verlassen, stehe er in engem Kontakt, sagt Fröschner. Dass sie gehen, sei "für den gesamten Ort eine Niederlage": "Das Problem, das Burg mit der extremen Rechten hat, verschwindet nicht, wenn niemand mehr da ist, um es zu thematisieren."
Fröschner versteht nicht, warum sich die Landesregierung erst so spät unmissverständlich hinter die beiden gestellt hat. Und das, wo es doch gerade hier so viel Mut erfordert, öffentlich zu sagen: Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus. Hinter jedem Angriff, hinter jeder Hetzkampagne gegen einzelne Personen steckt laut Fröschner immer auch eine Botschaft an die gesamte Gemeinschaft: Wer nicht aufhört, das rechte Milieu anzuprangern, muss mit Vergeltung rechnen.
Der Lehrer Max Teske sagt dagegen, er will die Entscheidung von ihm und seiner Kollegin, wegzugehen, nicht als Scheitern werten. "Wir haben viele Menschen erreicht, auch solche, die über ihren Standpunkt nachgedacht haben und sich kritisch mit sich selbst auseinandergesetzt haben. Leute, die gesagt haben, ‘das hatten wir gar nicht auf dem Schirm, dass es so krass ist’."
Andere Lehrkräfte engagierten sich nun deutlich stärker in der Schule gegen rechtsradikale Tendenzen. Passanten hätten ihm gesagt: ‘Das ist gut, dass ihr das macht’. Und als in einem Elternbrief an die Schule die Entlassung von seiner Kollegin und ihm gefordert wurde, habe die Schulleitung in einem Antwortbrief an alle Eltern klare Kante gezeigt, geschrieben, dass rechtes Gedankengut nicht akzeptiert werde. Schüler und Schülerinnen fühlten sich sicherer, hätten Ansprechpartner, mit denen sie darüber reden könnten.
Teske fordert, dass kontinuierlich in der Schule Demokratie gelebt und gelehrt werden solle. Eine Stunde in der Woche Demokratiebildung wäre notwendig, in der es darum gehen sollte, wie man miteinander umgeht und was Respekt bedeute. Lehrkräfte müssten sich verpflichtend fortbilden, um sich zu sensibilisieren und um angemessen damit umgehen zu können. "Wir machen keinen Rückzieher", sagt Teske. "Wir machen weiter mit unserem Engagement beim Bündnis Schule für mehr Demokratie. Es ist eigentlich erst der Anfang."