Non scholae, sed vitae discimus - das Bildungssystem

  • Ich habe dieses Jahr die Abiturprüfungen abgelegt, von daher behaupte ich mal den Alltag zumindest an "meinem" Gymnasium ganz gut zu kennen.
    Zu Sachen wie Umgang mit Medien oder Mobbing gibt es in der Mittelstufe Projekttage wo irgendwelche "Experten" einem erklären wie man sich Verhalten sollte.
    Das ist dann für alle beteiligten extrem langweilig. Entweder man interessiert sich als Schüler dafür, dann erfährt man eh nichts neues, oder es ist einem egal, dann hat man eh nicht zugehört bzw. das gesagte ignoriert.
    Ansonsten spielen derartige Inhalte keine große Rolle. Hin und wieder gibt es den obligatorischen erhobenen Zeigefinger, oder übermotivierte Sportlehrer die irgendwas von Soft-Skills faseln, in der Praxis bringt das alles nichts.


    Ähnlich sieht es bei politischer Bildung aus. Ja, natürlich haben die Schüler SoWi, Politik, Geschichte etc. als Fächer, nur bringt das nichts, wenn seitens der Schüler kein Interesse daran besteht. Ich erinnere mich mit einem Schaudern an eine Erdkunde Stunde in der neunten Klasse. Der etwas ältere Lehrer (sehr konservativ, mit "interessanten" Thesen zu Themen wie Minderheiten, Kreuzzügen oder Vergewaltigungen, aber das ist eine andere Geschichte..) fragte, was wir denn von der aktuellen Eskalation im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hielten, es stellte sich heraus, dass ca. sechs von 30 Schülern zumindest eine ungefähre Vorstellung davon hatten, wovon der Mann redete. Auch hatte ich noch in der 12. Klasse mehr als genug Mitschüler, die nicht wussten das die AfD eine Partei ist oder wofür die Abkürzung SPD steht.
    Natürlich sind hier die Einflussmöglichkeiten der Schule begrenzt und ich gebe zu, dass ich auch nicht wirklich weiß, wie man derartige Defizite beheben könnte. Zumindest würde es helfen, wenn man im Unterricht noch mit Sachwissen punkten könnte, aber vorallem die Gesellschaftswissenschaften sind bei jüngeren Lehrern meiner Erfahrung nach reine Laberfächer, in denen es mehr darum geht einfach irgendwas zu sagen, als darum irgendwas zu wissen.


    Umgang mit PCs beschränkte sich in meiner Schullaufbahn auf gelegentliche Recherchen im Internet, mit >10 Jahre alten Rechnern, gelegentliche PowerPoint-Präsentationen, das einmalige erstellen eines Diagramms in Excel und das Anfertigen einer Facharbeit.
    Wobei für letztere bei gefühlt der Hälfte meiner Mitschüler galt © by Mama und Papa. In der Theorie verfügt die Schule über ein "Medienzentrum", in der Praxis bekommen 90% der Schüler das Ding nur am Tag der offenen Tür zu sehen.


    Meine ehemalige Schule ist ein privates katholisches Gymnasium, das bei uns in der Gegend aus irgendwelchen Gründen als "Eliteschule" gilt. Selbst der Direktor und ein Teil der Lehrkräfte ist davon überzeugt was besonderes zu sein. Persönlich glaube ich zwar nicht daran (unser prominentester Ex-Schüler ist wohl Pierre Vogel :respect: ), allerdings schafft die Schule es durchaus diesen Eindruck zu erzeugen und zieht daher ein gewisses Klientel an (sucht mal nach "himmlisches Gymnasium Spiegel.de").
    Daher denke ich nicht, dass es anderswo deutlich besser läuft oder das meine Mitschüler nur besonders desinteressiert waren.

  • Da ich aus Österreich komme ist unser Schulsystem hier etwas anders. Wir haben, unter anderem, weniger Auswahlmöglichkeiten als ihr was die Fächer angeht. Bei uns gibt es einen vom Bildungministerium vorgelegte Stundentafel welche Stunden welches jahr hat, Interessen der Schüler spielen kaum eine Rolle.


    Das was mir auffällt ist das junge Lehrer sehr wohl noch Sachen anders machen wollen und besser. Letztes Jahr hatten wir einen neuen Geschichte Lehrer (Geschichte und Politik ist gemeinsam bei uns) und der hat den Unterricht relativ interessant gemacht, versucht möglichst viele Schüler anzusprechen. Aber, wie Norkzlam schon sagt, wenn sich die Leute nicht interessieren ist es sinnlos. Obwohl jeder wählen gehen darf mit 16 interessiert es keinen. Genauso bleibt Allgemeinbildung, kritisches Denken, irgendwelche Sachen die kein Fachwissen sind sondern die man für das spätere Leben benötigen könnte, wie Steuern zB, vollkommen auf der Strecke.


    Generell würde ich mir mehr Auswahlmöglichkeit wünschen und mehr Fokus auf kritisches denken.

  • Letztes Jahr hatten wir einen neuen Geschichte Lehrer (Geschichte und Politik ist gemeinsam bei uns) und der hat den Unterricht relativ interessant gemacht

    Kannst du "interessant" näher erläutern? Würde mich interessieren, was du/ihr als "interessant" empfunden habt.


    Ich unterrichte an einer Mischung aus Haupt- und Realschule. Viele Schüler sind sowohl sprachlich als auch in ihrem Kenntnisstand auf einem verhältnismäßig niedrigem Niveau. Die Schulbücher bestehen häufig aus viel Textanteilen, bei denen immer wieder zunächst einzelne Begriffe durch mich erklärt werden müssen. Erst dann können wir langsam an die Inhalte gehen. Das Interesse der Mehrheit der Schüler ist, gelinde gesagt, mau. Die Eigeninitiative geht bei vielen gegen Null. Gemacht wird das unbedingt Nötigste. Ich habe allerdings festgestellt, dass spielerische Elemente, Wettkampfsituationen und die Möglichkeit zur Selbstdarstellung bei den Schülern häufig sehr gut ankommen. Das Problem besteht eher darin, neben diesen bzw. mit Hilfe dieser Methoden noch den im Lehrplan vorgesehenen Stoff "an den Schüler" zu bringen. Diesen Stoff bringt man meiner Erfahrung nach am erfolgreichsten "rüber", indem man ihn den Schülern gut "verdaulich vorkaut" und dann im Klein-Klein immer wieder wiederholt und abfragt, möglichst so, dass auch der Schlechteste dabei irgendwann ein Erfolgserlebnis verbuchen kann. Das ist überhaupt wichtig, den Schülern Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Schlechte Noten motivieren nicht. Die Aussicht auf eine gute Note und Lob schon viel eher.

  • Wenn Interesse per se nicht da ist, kann man das meiner Meinung nach auch nicht mit gutem Unterricht herauskitzeln. Ich denke es gibt nur wenige Schüler die eine konkrete Vorstellung davon haben, was sie später mal machen wollen. Für die anderen zählt das Hier und Jetzt, also Freunde, Musik, Sexualität, Computerspiele oder sonst irgendwas, nur nicht Schule oder Beruf.


    Also warum nicht mal einen Rap-Workshop machen (natürlich nicht für alle, sondern für die die es interessiert). Und dann nicht mit 10 Jahre alten Material antanzen sondern vorher ausgiebig informieren was derzeit angesagt ist. Vielleicht finden die Schüler den Lehrer dann ja toll, machen auch mal beim "normalen" Unterricht besser mit.


    Ich weiß es gibt solche Projektwochen aber das ist ein oder zweimal im Jahr, warum nicht alle zwei Monate?


    Vielleicht muss man Schüler auch gar nicht nach Alter/Leistung in Klassen sortieren, sondern nach Interessengruppen? Also eine Naturwissenschaftklasse, eine Fremdsprachenklasse, eine Sportklasse, eine Kunstklasse und so weiter.


    Natürlich kann man nicht zu einem Neuntklässler in der Hauptschule gehen der Schule bisher immer nur Scheiße fand und damit anfangen. Sowas muss ab der ersten Klasse gemacht werden, damit Schule gar nicht erst Scheiße werden kann.


    Oder warum gibt es zig Studien die belegen, dass das Gehirn um 8 Uhr noch gar keine richtige Leistung bringt, warum ändert keiner mal sowas? Hab gehört es gibt sogar schon einige Schulen mit Gleitzeitmodell. Richtig so!


    Übertreiben darf man es natürlich auch nicht, z.B. Montessori geht mir da etwas zu weit, das wirkt für mich wie Kind+Lernmaterial, Deckel drauf und hoffen es kommt Abitur raus.

  • Man kann und sollte als Lehrer auch nur Dinge anbieten, die zu einem passen. Das Ganze muss authentisch sein. Würde ich z.B. Rap anbieten, würde ich mich lächerlich machen, weil das mal so gar nicht meins ist. Da macht man sich sehr schnell zum Affen. Aber stimmt schon, es hängt sehr viel vom grds. Interesse der Schüler ab. Nur sollten meiner Ansicht nach die Schüler auch lernen, dass "Schule & Beruf" eben nicht nur aus "Spaß, Fun und Unterhaltung" bestehen. Die Fähigkeiten sich mal durchzubeißen, auch mal lästigen Stoff zu lernen und Schwierigkeiten durch Hartnäckigkeit und Fleiß zu überwinden, sind immer weniger ausgeprägt und werden immer weniger abverlangt. Was leider völlig im Gegensatz zur Arbeitswelt steht, die dann nach der 10. Klasse auf sie wartet.


    P.S. Wobei mir gerade einfällt, dass ich mal eine Rap Vertonung anderer Schüler von John Maynard mit meinen Schülern besprochen und mit anderen Vortragsversionen verglichen habe. Sowas kommt natürlich immer gut an und ist tatsächlich genial.



  • Fleiß muss sich halt auch lohnen, wenn jemand aus einer Familie aus der unteren Hälfte der Bevölkerung kommt, beide Eltern Vollzeit arbeiten und trotzdem kein Geld für die Klassenfahrt da ist, dann lernt man, dass Fleiß nichts bringt.

  • Kannst du "interessant" näher erläutern? Würde mich interessieren, was du/ihr als "interessant" empfunden habt.


    Mein Vorteil ist halt das ich mich für so ziemlich alles interessiert. Aber um auf die Frage zu antworten: Er hat politische Inhalte mit Geschichte verknüpft und diese dann auf die Gegenwart umgemünzt. Genauso musstes wir zu diversen Sachen eine Selbstreflexion machen, kritisch denken. Man hat gemerkt das alle Schüler sich halbwegs bemüht haben mitzuarbeiten und mitzumachen. Natürlich gab es ein paar Spezialisten(interessanterweise diesmal sogar nur Mädchen xD) die meinten das ganze nicht ernst zu nehmen, aber die waren weniger als sonst und außerdem hatten sie keine große Wirkung auf den Unterricht. Ich denke so viel haben meine Klassenkollegen noch nie in nem Jahr über Geschichte, Politik und kritisches denken gelernt.

  • John, mach das da: http://www.next-gamer.de/revol…n-spielend-zur-traumnote/


    Ich kann mir gut vorstellen, dass so ein System heutzutage erstaunlich gut funktioniert ^^

    Mich würde es mehr motivieren, stimmt schon, denn ich weiß was ich machen muss um eine gute Note zu bekommen. Allerdings wird mit einem komplett transparenten System dem Lehrer jede Chance genommen irgendjemanden zu beurteilen wie er will, er hat im Prinzip keine Macht mehr. und ich weiß das manche sich nicht nehmen lassen wollen so zu beurteilen wie sie es richtig finden und auch mal Noten verteilen wie sie grade wollen.


  • Es ist von Harald Lesch, dafür braucht man keine fünf Worte.



    EDIT


    Habe ich bei Youtube in den Kommentaren zu einem Video über unser Bildungssystem gefunden, fand ich irgendwie genial formuliert:

    Zitat

    Erst lernen wir reden und laufen, dann schweigen und sitzen.

    :lehrer:


    kleiner Edit


    Hab den Satz noch gegoogelt und herausgefunden dass er keine Erfindung des Kommentarschreibers ist, sondern (in leicht abweichendem Wortlaut) ein Zitat von Marcel Pagnol einem französischen Schriftsteller, Dramaturg und Regisseur.

    "Je mehr die Menschen wissen, desto weniger müssen sie glauben"
    Bodo Wartke

    Einmal editiert, zuletzt von Fairas ()

  • Vor allem die beiden Punkte Pädagogik und Didaktik waren aber früher schon nicht so verbreitet ;)

    Also hier in Bayern hängt das auch vom Lehramt ab, so musst du als angehender Gymnasiallehrer zB. keine Pädagogik an der Uni belegen.


    "Telling an atheist they're going to hell is as scary as a child telling an adult they're not getting any presents from Santa"

    -Ricky Gervais-


    "Arbeiten im Büro das ist wie Sex in der Ehe, am Anfang gibt man sich Mühe und hat Spaß und nach ein paar Jahren macht man immer das selbe und ist einfach nur froh wenn Feierabend ist"


    -Bernd Stromberg- :thumbsup:

  • Also hier in Bayern hängt das auch vom Lehramt ab, so musst du als angehender Gymnasiallehrer zB. keine Pädagogik an der Uni belegen.

    Das hat sich doch aber auch geändert. In der alten LPO gab es die EWS - Prüfungen, also das erziehungwissenschaftliche Studium, wo du Psychologie, Pädagogik und Schulpädagogik als zentrale Inhalte hattest. Nach den Bologna-Reformen wurde die entsprechende zentrale Prüfung abgeschafft und durch einzelne Seminare abgelöst.
    Hinzu kommen dann noch die Inhalte während des Referendariats.


    Entscheidender als die Seminare wäre aber die eingehende Prüfung der Lehramtsstudenten vor Studienbeginn bzw. im "Grundstudium", da könnte man besser auf pädagogische Eignung prüfen.

    ___ ___ ___ ___ ___

    And before he died, Taran-Ish had scrawled upon the altar of chrysolite with coarse shaky strokes the sign of DOOM.

  • Gehört nicht direkt zum Thema Bildung (eher Erziehung) aber passt hier ganz gut rein:


    In Hamburg haben Kinder im Grundschulalter gegen die übermäßige Handynutzung ihrer Eltern demonstriert :thumbup:


    https://www.welt.de/vermischte…l-7-hat-demonstriert.html


    Aus jemandem der in diesem Alter schon von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch macht, kann doch eigentlich nur ein hervorragender Bürger werden :respect:

  • Auch heute: Arbeite zwei Jahre an einer Grundschule, wo niemand hinwill und werde danach Lehrer am Gymnasium. https://www.schulministerium.n…chtsversorgung/index.html

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