Krank sein hat den "Vorteil", dass ich ein weiteres Spiel auf meinem Pile of Shame in Ruhe spielen konnte. Die Rede ist vom Spiel Encased:
Ein kleines (40-55 Stunden) aber feines RPG, das vermutlich keine riesige Spielerbasis hat und wohl in Vergessenheit geraten wird im Vergleich zu z.B. Fallout, aber trotzdem ziemlich gut ist und eigentlich eine Chance verdient hätte.
Storytechnisch kann ich, ohne zu Spoilern, eigentlich nur vom Anfang erzählen. Mitten in einer Wüste wurde eine gigantische Kuppel gefunden, unter welcher es allerlei Anomalien gibt. Es gibt nur einen Eingang von oben. Im Inneren der Kuppel werden keine Kinder geboren und wer versucht sie wieder zu verlassen stirbt. Trotzdem hat die Kuppel den kalten Krieg beendet, weil die Menschheit sich mit dem Fund der Kuppel bewusst geworden ist, dass es mit den Ahnen eine Art Alien-Zivilisation gegeben haben muss, welche diese Kuppel zurückgelassen hat. Zweck unbekannt. Durch Erforschung der Relikte und Anomalien dort hat die Wissenschaft aber gewaltige Sprünge gemacht. So gibt es schon in den 70ern unter der Kuppel Roboter und VR-Brillen. Erforscht wird die Kuppel von der CRONUS Foundation, für die Mitarbeiter aus allen Nationen tätig sind. CRONUS soll im Prinzip der Menschheit dienen, hat aber viel von einem Geld und machthungrigen Großkonzern.
Aber warum gehen Menschen in eine Kuppel, unter der sie unfruchtbar werden und aus der es kein Entkommen gibt? Manche sicher aus ideologischen Gründen und Forschungsdrang, die meisten aber eher, weil sie dort ein besseres Leben erwartet. Mit Artefakten kann man nämlich viel Geld verdienen und damit ein komfortables Leben leben. CRONUS hat dabei verschiedene Abteilungen:
Die Silberne Abteilung: Im Prinzip die Verwalter und das Management. Wer es in die Silberne Abteilung schafft, der kann es in der Kuppel weit bringen. Hier finden sich vor allem Leute, die schon außerhalb der Kuppel einen gewissen Einfluss oder die passenden Beziehungen hatten.
Die Schwarze Abteilung: Die Kuppel mit ihren Anomalien, Wächtern und Mutanten ist gefährlich. Und die Schwarze Abteilung sorgt für Sicherheit. Hier sind vor allem Ex-Militärs versammelt.
Die Blaue Abteilung: Irgendjemand muss unter der Kuppel ja die ganzen Wunder bauen und warten. Dafür ist die Blaue Abteilung da. Vom Elektriker bis zum Ingenieur ist hier alles Mögliche vertreten.
Die Weiße Abteilung: Ein großer Bestandteil von CRONUS ist natürlich die Erforschung der Kuppel. Vom Mediziner über Archologen und Physiker sind alle möglichen wissenschaftlichen Disziplinen in der Weißen Abteilung vertreten.
Die Orange Abteilung: Das alles sind natürlich wichtige Berufe, aber wer putzt die Toiletten oder kocht das Essen. Die Blaue Abteilung ist dafür doch ein bisschen überqualifiziert oder? Tja, manche gehen aber selbst für niedere Arbeiten ohne große Aufstiegschancen unter die Kuppel, insbesondere dann, wenn man die nächsten 50 Jahre eigentlich im Knast verbringen sollte. Die Orange Abteilung besteht aus allen möglichen Straftätern, die durch den Dienst in der Kuppel einen gewissen Grad an Freiheit erlangen. Auch ein Grund, warum es so viele von der Schwarzen Abteilung gibt.
Ach, schaut einfach das Video:
Welcher Abteilung man angehört, hat vor allem Einfluss auf die ersten paar Spielstunden im Prolog. Danach hat es zwar noch Einfluss, vor allem bei einigen einzigartigen Gesprächsoptionen, aber im großen oder ganzen macht es dann keinen so wahnsinnigen Unterschied mehr, was dann auch daran liegt, wie sich die Welt entwickelt.
Allerdings gibt es später dann größere Fraktionen, die auch ein Stück weit mit den Abteilungen zu tun haben.
Die Kirche: Im Grunde genommen besteht die Kirche aus allen möglichen Leuten, welche die Hoffnung verloren haben. Die Kirche gaukelt über eine virtuelle Realität das Paradies vor und lässt sich dafür bezahlen. Also im Grunde eine fucked up Version der katholischen Kirche.
Carmine Height: Eine friedliche demokratische Siedlung, in welcher sich vor allem Mitglieder der Blauen und Weißen Abteilung sammelt. Hier geht es den Leuten vor allem um Forschung.
Die Phalanx: Auf den ersten Blick etwas faschistoid, aber ihr Anführer ist beliebt und hat eher eine Leidenschaft für Spionage und ohne die Phalanx Karawanen wäre die Versorgung innerhalb der Kuppel stark gefährdet. Hier finden sich vor allem Schwarze Abteilung und Orangene Abteilung.
Die Neutrale Zone: Hat keine wirkliche Agenda außer den Selbsterhalt, im Prinzip besteht sie aus einem befestigten Rastplatz. Hier sind die Leute, die einfach ihre Ruhe haben wollen. Die Fraktion ist aber von daher wichtig, weil hier auch miteinander verfeindete Parteien gut geschäfte machen können.
Die Fops: Die Fops haben jede Menge psychischer Verstrahlung abbekommen und sind alle irgendwie merkwürdig und sie werden von einer Königin regiert. Noch vor allen anderen Gefahren, sind sie sind der Hauptgrund, warum Karavanen einen schwerbewaffneten Phalanx-Begleitschutz haben müssen. Ein bisschen sind sie wie irgendwelche Warhammer-Orks. Man kann aber durchaus auch an welche geraten, die einen nicht gleich umbringen möchten, sofern man ihrer verqueren Logik nicht im Weg steht.
Die neue Kommission: Im Prinzip CRONUS nach der Wahl einer neuen Vorsitzenden. Hier gibt es nach wie vor das Kastensystem der Abteilungen. Diese Fraktion ist unter der Oberfläche faschistischer als die Phalanx, sie treten nur nicht so martialisch auf, aber das Endziel ist eine alles umfassende Diktatur unter der Kuppel.
Im Verlauf des Spiels sammelt man Ruf bei den Abteilungen und Fraktionen und das hat dann (bis zu einem gewissen Grad) auch einen Einfluss auf das Ende des Spiels. Man muss sich aber im Grunde nicht für eine Fraktion entscheiden. Wenn man will, kann man für alle gleichermaßen arbeiten. Während der Abenteuer findet man dann auch unterschiedliche Begleiter, von denen einen maximal 2 begleiten können.
Ich mochte auf jeden Fall die Charaktere (wenn die auch nicht extrem tiefgreifend sind), den Style und auch die Story. Es hat viel von einem alten Fallout, setzt aber eben auch viele eigene Akzente. Was die große Entscheidungsfreiheit angeht, wie in vielen solchen Spielen ist die eher oberflächlich und tatsächlich weniger weitgehend, als einem das Spiel vorgaukelt, also was das Ende angeht.
Es gibt auch viele Möglichkeiten, wie man im Spiel selbst vorgehen kann. Theoretisch kann man jeden einzelnen NPC, inklusive der Anführer der Fraktionen töten und das Spiel trotzdem durchspielen. Genauso kann man das Spiel durchspielen, ohne nur einen einzigen Menschen zu töten. Man kann sich auch entscheiden, ohne Begleiter zu spielen und dafür extra Perks nutzen. Man kann so skillen, dass man eine Servorüstung besonders stark ausnutzen kann oder nie eine nutzen. Achja und die meisten Hauptquests kann man, wenn man eine Fraktion nicht mag, auch durch stehlen und hacken lösen. Generell kann man so ziemlich alles im Spiel klauen. Glaube, das hat meine Spielzeit stark erhöht 
Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten. Daher ein paar negative Aspekte des Spiels: Man merkt, dass bei dem Spiel kein großes Entwicklerstudio dahintersteckt, das alles gepolished hat bis zum Gehtnichtmehr und das Spiel zu großen Teilen über Crowdfunding finanziert wurde. Dabei meine ich keine Bugs, davon wäre mir nämlich keiner aufgefallen, alles funktioniert sehr gut. Aber das Spiel ist voller Systeme, bei denen die Vermutung naheliegt, dass man sie der Community versprochen hat, die dann aber nur halbherzig implementiert sind und sich im Spiel irgendwie unfertig oder nutzlos anfühlen.
Das beste Beispiel dafür ist das System mit CRONUS/Ahnen-Punkten. Man bekommt z.B. ganz zu Anfang einen Scanner, mit welchem man alles mögliche Scannen kann, vor allem Relikte und Leichen. Dafür bekommt man ein wenig Erfahrung und sammelt Punkte. Diese Punkte kann man bei bestimmten Händlern eintauschen. Jetzt würde man erwarten, für solche Fleißaufgaben gibt es irgendwelche einzigartigen Gegenstände oder Artefakte. Aber nein, das ganze Spiel über kann man dafür nur ein paar medizinische Güter eintauschen. Die findet man aber im Spiel genug, kann sie selbst herstellen oder sind mit der richtigen Skillung auch größtenteils obsolet. In der Richtung gibt es ein paar Sachen, von denen man sich fragt, warum sie überhaupt da sind.
Was ich auch extrem schade fand, ist die Art wie die Begleiter gehandhabt werden. Wenn man rumreist hat mein ein Camp, nach einer bestimmten Quest sogar eine fahrende Basis. Aber was passiert mit den Begleitern, die man gerade nicht dabei hat? Die gehen, inklusive Ausrüstung, dahin zurück, wo man sie gefunden hat. D.h. wenn man, abseits von bestimmten Schlüsselereignissen, die Party ändern möchte, muss man durch die halbe Welt reisen. Dadurch gibt es auch keine interessanten Gespräche am Lagerfeuer. Da ist das Spiel in vielen Punkten schon so oldschool und dann gibt es trotzdem kein "richtiges" Camp.
Eine weitere Schwäche ist der Kampf. Der ist nicht wirklich schlecht, aber eben auch nicht richtig gut. Man schlägt und schießt in Runden aufeinander ein und muss dabei Elemente-Resistenzen beachten und kann diverse Fähigkeiten einsetzen. Das funktioniert, ist in der Umsetzung auf Dauer aber ein bisschen langweilig. Kein Vergleich zu einem tollen System wie z.B. in Divinity Original Sin 1&2.
Wie gesagt, trotzdem ein tolles Spiel, die Schwächen haben es mir nicht kaputt gemacht. Wer mal wieder ein Einzelspieler-Rollenspiel spielen möchte, mit interessantem Setting, ohne dutzende DLC oder Stunden an Zusatzcontent der nur aus Grinding besteht, dann kann man sich dieses Spiel getrost mal anschauen 