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Das blaue Wunder des J. Craig Venter
Künstliche Bakterienzellen, hergestellt aus dem Chemiebaukasten für Geningenieure: Das renommierte Wissenschaftsmagazin "Science" zelebriert die neueste Schöpfung von Craig Venter. Ein Meilenstein der Synthetischen Biologie.
Von Joachim Müller-Jung
20. Mai 2010
Craig Venter, wer sonst: Der kalifornische Genomforscher, der als erster das menschliche Erbgut entzifferte und eine gentechnische Pionierarbeit auf die Nächste folgen ließ, hat die biologische Schöpfung endgültig zur Kunstform erhoben. Er hat mit seinen Kollegen im Labor ein Mycoplasma-Bakterium mit einem synthetisch nachgebauten Genom ausgestattet und quasi zum Leben erweckt. Das transplantierte, etwas mehr als eine Millionen Bausteine große Kunstgenom steuert allein die Lebensprozesse der Mikrobe – inklusive seiner Vermehrung. Leben aus dem Chemiekasten. „Mycoplasma mycoides JCVIsyn1.0“, so lautet mit Hinweis auf das „J. Craig Venter Institute“ in San Diego der Name der künstlichen Kreatur, die wegen eines eingebauten Farbstoffgens blau gefärbt ist.
Die von Venter patentierte Erfindung ist soeben in dem international renommierten Wissenschaftsmagazin „Science“ veröffentlicht worden. Von Fachleuten wird die Arbeit als Meilenstein der Synthetischen Biologie eingeschätzt, wie im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Freitagausgabe) ausführlich nachzulesen ist.
Venters neuer Genomstreich ist der Höhepunkt einer Reihe von Experimenten, die er in den vergangenen Jahren zusammen mit dem Nobelpreisträger Hamilton Smith an Mikroorganismen vorgenommen hat. Ihm geht es vor allem darum, eines Tages chemisch maßgeschneiderte Design-Organismen zu kreieren, die eine Energierevolution auslösen sollen: Mikroalgen etwa, die Sonnenenergie mit einer nie dagewesenen Effizienz gewinnen oder wahlweise das Treibhausgas Kohlendioxid in verwertbare Rohstoffe umwandeln können. Doch nicht nur das treibt Venter an: Wie viele der neuen Genomingenieure, die von der Bioterror-Angst nach „Nine Eleven“ verunsichert wurden, hat sich Venter als einer der ersten über die Risiken und den möglichen Missbrauch synthetischer Organismen Gedanken gemacht. Über die Rolle der Ethik, die zum ständigen Begleiter der Synthetischen Biologie geworden ist, wird ebenfalls in der Frankfurter Allgemeinen berichtet.
„Das ist ein wichtiger Schritt, glauben wir, sowohl wissenschaftlich als auch philosophisch“, sagt Venter heute. „Es hat meine Sicht über die Definition des Lebens geändert und darüber, wie Leben funktioniert.“
Die ETC-Gruppe, eine internationale Nichtregierungsorganisation, die sich von Anfang an in die ethische Bewertung der Gentechnik einschaltete, sprach nach der Präsentation von Venters Ergebnisse auf einer Presskonferenz von einem „entscheidenden Moment, in dem die Büchse der Pandora geöffnet“ worden sei. Bei der Synthetischen Biologie handele es sich um „eine von Profitinteressen getriebene Hochrisikotechnologie, bei der neue Organismen aus kaum verstandenen Bauteilen zusammengesetzt werden“. Die Freisetzung der künstlichen Lebensformen könne ungeahnte Folgen für die Biosphäre und Artenvielfalt haben. International fehlen klare Regelungen, monierte die ETC-Gruppe. Bis der Gesetzgeber klare Grenzen gesetzt habe, sollten sich Venter und seine Kollegen einem Moratorium unterwerfen.
Bildmaterial: AP, F.A.Z., Science
Wenn das so stimmt, dann sind zukünftig ganz neue Möglichkeiten denkbar. Ganze Rohstoffe oder Medikamente könnten dann einfach künstlich gezüchtet werden. Eine unglaubliche Inovation. Kommt nun, nach der industriellen und der digitalen Revolution, die biotechnologische Revolution? Werden wir bald Bio-Ingenieure haben, die mit einer Bio-Informatik Programme des Lebens schreiben, die uns bis dato ungeahnte Möglichkeiten eröffnen? Das könnte auch eine medizinische Revolution werden. Freilich kann es auch ein Desaster werden, wenn man es für die Waffentechnologie einsetzt oder wenn man leichtfertig damit umgeht und das Ökosystem unerwartet reagiert. Trotzdem sehr spannend das Ganze. Wenn das so weitergeht, wird man irgendwann den genetischen Code für das Altern und vielleicht sogar für das Sterben "ausschalten" können. Das wäre für die Menschheit wohl ein ähnlich evolutionärer Schritt, wie die Beherrschung des Feuers.