Also über dieses Phänomen der Kindesmorde kann man denke ich nicht einfach so pauschal urteilen, wie du das gerade machst.
Auch das "Recht auf Leben" ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Ob uns das nun passt oder nicht. Diese Indios leben unter ganz anderen Bedingungen als wir. Wer sagt dir überhaupt, dass wir deren Gedankengänge überhaupt nachvollziehen können. Sie leben im Dschungel, ohne medizinische Versorgung, nur von dem was sie sich selbst erjagen können. Jäger und Sammler halt, wie die Urmenschen. Dass solche Stammesgesellschaften bspw. behinderte Kinder nicht mit "durchfüttern" ist natürlich extrem grausam. Trotzdem ist es nicht mit einem einfachen Verweis auf "die Menschenrechte" getan. So einfach ist es leider nicht. Was würden wohl viele Menschen unserer Gesellschaft mit behinderten Kindern tun, wenn sie unter ähnlichen Überlebensbedingungen klar kommen müssten? Angenommen ein Atomkrieg würde uns in die Steinzeit zurückbomben, glaubst du wir würden dann noch die selben Kriterien anlegen, in einer Zeit, in der jede Kartoffel eine Kostbarkeit darstellt? Ich wäre da sehr vorsichtig mit Prognosen.
Ein weiterer Punkt:
Was ist denn mit unserer Methode der medizinischen Abtreibung? Indios können auf solche hochentwickelten Methoden nicht zurückgreifen. Im Grunde ist die Abtreibung in unserer Gesellschaft nichts anderes, als das was die Indios, aus übrigens viel elementareren Gründen, in ihrer Gesellschaft praktizieren. Interessanterweise sind auch die Argumente ganz ähnliche. Während viele unserer Gesellschaft sich damit beruhigen, dass ein Fötus höchstwahrscheinlich noch nicht viel spürt, glauben Indios, dass Säuglinge noch kein voll entwickeltes Schmerzempfinden ect. hätten. Natürlich wissen wir, dass dem nicht so ist. Aber die Indios wissen es eben nicht.
Ich finde Kindstötungen auch unendlich grausam. Fakt ist aber auch, dass sie im alten Rom bspw. gang und gäbe waren. Dort wurden unerwünschte Kinder im Tiber "entsorgt". Man sollte sich also nicht zu sehr auf das hohe Ross setzten und über andere Gesellschaften urteilen. Ob die eigene wirklich soviel besser ist, ist nicht unbedingt erwiesen.
Und ob es richtig ist, einfach eine gesamte völlig fremde Stammeskultur zu vernichten mittels Werte- und Kulturimperialismus, da habe ich inzwischen sehr große Zweifel. Egal aus welch noblen Gründen man das umsetzt. Und egal ob es als ungewollter Nebeneffekt oder mit gezielter Absicht geschieht. Ich halte es für falsch.
"Am europäischen Wesen soll die Welt genesen" und "den Wilden müssen erstmal menschliche Werte beigebracht werden"... waren das nicht die klassischen Argumente eines jahrhunderte dauernden europäischen Imperialismus, der ganze Kulturen vernichtet hat? Afrika leidet heute noch darunter.
Im Science Fiction Universum von Star Trek gibt es ja diese Regel der strickten "Nichteinmischung" in die Entwicklung außerirdischer Zivilisationen. Ehrlich gesagt, so dumm finde ich diese Regel nicht. Auch wenn sie bisweilen sehr schmerzhaft und kaum zu ertragen ist.
So furchtbar das mit den Kindstötungen der Indios ist, rechtfertigt das denn wirklich das Risiko ihre Stammesgesellschaften so weit zu beeinflussen, dass sie letztlich ihre eigene Kultur verlieren? Ich weiß es nicht. Wenn ich mir ansehe, was aus den vielen ehemals stolzen Indianerstämmen Nord- und Südamerikas geworden ist, dann kann man leider schon von einem nahezu Genozid an den indigenen Völkern sprechen. Und zwar kontinuierlich seit der Entdeckung Amerikas durch die Europäer.