Also ich traue mir da auch kein Urteil zu. Rein logisch fällt es mir schwer nachzuvollziehen, warum ein riesiges Land wie Russland, mit 144 Millionen Einwohnern, gewaltigen Rohstoffreserven und dem nötigen technischen Knowhow in der Waffentechnik nicht in der Lage sein sollte, eine tragfähige Waffenproduktion aufzubauen. Zumal es diktatorisch regiert wird und somit quasi alles auf eine Karte setzen kann, es zudem von China und anderen Ländern gepäppelt wird.
Eine Rüstungsindustrie aufzubauen ist nichts, was man von heute auf morgen macht, das hat schon im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs ein halbes Jahrzehnt gedauert, und seitdem sind die Waffensysteme deutlich komplexer geworden.
Russland hat zudem das Problem, dass in vielen Bereichen die industrielle Basis fehlt, die Maschinen, die man in den Rüstungsfabriken aufstellt, muss man ja auch irgendwie produzieren, und hier ist Russland blank, die dafür nötige Industrie, die man zu Sowjetzeiten noch hatte, existiert nicht mehr, in gewissen Bereichen kann China aushelfen, und über diverse Umwege kommt man auch noch an westliche Maschinen, aber nicht in dem Ausmaß, welches man benötigen würde.
Das andere Thema sind qualifizierte Arbeitskräfte, Russland mag zwar knapp 1,5mal so viele Einwohner haben wie Deutschland, nur lässt sich das nicht 1:1 in qualifizierte Mitarbeiter in der Rüstungsindustrie übersetzen, gerade wenn man nach wie vor vor der Umstellung auf Kriegswirtschaft zurückscheut, allgemein einen massiven Arbeitskräftemangel in der Volkswirtschaft hat, und die Armee ebenfalls bemüht ist, möglichst viele Leute zu rekrutieren.
Was nicht bedeutet, dass man die russische Rüstungsindustrie einfach abschreiben kann, bei den Artilleriegranaten, Marschflugkörpern und Drohnen etwa gab es signifikante Steigerungen der Produktion, und die Rate mit der man eingemottetes Material repariert ist auch nicht zu unterschätzen.
In anderen Bereichen ist dies nach wie vor nicht gelungen, bei den Artilleriegeschützen selbst, insbesondere deren Rohren ist die Produktion nach wie vor nicht in die Gänge gekommen, und die Lager leeren sich rapide, seit Kriegsbeginn wurden ca. 15.000 Geschütze aus den Lagern entfernt, primär um die Rohre auszuschlachten.
Bei Kampfpanzern ist die Produktion zwar gestiegen, allerdings von einem derart niedrigen Niveau (60-100 pro Jahr), dass es angesichts der Verluste nach wie vor nur ein Tropen auf den heißen Stein ist, allerdings dürften hier die Lagerbestände noch etwas reichen, auch wenn bereits jetzt schon T-55 ausgegraben werden, und im Verlauf des nächsten Jahres durch deren teilweise Erschöpfung die Anzahl der reaktivierten Panzer zurückgehen dürfte. Noch dramatisch als bei Kampfpanzer scheint aber die Situation bei Schützen- und Transportpanzern für die Infanterie zu sein, wo man mittlerweile am Boden des Fasses kratzt.
Zwar ob der Möglichkeit sie im Ausland zu kaufen nicht kritisch, aber durchaus vielsagend ist auch die Produktion von Uniformen, wenn man sich die Fotos russischer Soldaten so ansieht, könnte man nicht erahneen, dass die seit Jahren mit einer einheitlichen Digitaltarn-Uniform ausgestattet sein sollten, statdessen sieht man einen bunten Mix aus alten sowjetischen, vor allem aber, ausgerechnet, amerikanischen Uniformen.
Also ich sehe Russland noch nicht am Boden. Das kann in 12 Monaten schon wieder ganz anders aussehen. Würde mich zumindest nicht überraschen. Ich befürchte eher, die Russen brauchen erst einmal ihren ganzen Schrott auf, womit sie Zeit gewinnen, um moderne Kampfverbände aufzubauen und zu schulen.
Die große Armee modernen Gerät hinter dem Ural gibt es nicht, was neu produziert wird, wird sofort an die Front geworfen, was zum interessanten Trend führt, dass beim Material langsam die Mitte wegbricht, und man zusehends einen Mix aus brandneuem Gerät und Uralt-Schrott sieht.
Würde die russische Armee ihre verlustreichen Offensiven einstellen, und sich auf die Verteidigung gut ausgebauter Befestigungslinien beschränken, könnte sie in 12 Monaten eventuell ein paar mit modernem und modernisiertem Gerät ausgestattete Division aufstellen und ausbilden, dafür gibt es aber aktuell keine Anzeichen, die Direktive von oben lautet immer noch vorwärts um jeden Preis, mit entsprechenden Verlusten.
@Lenkbomben: Diese sind durch die russische Luftüberlegenheit ein signifikantes Problem für die Ukrainer. Wobei das jetzt keine großartige Innovation ist, schon die ersten Gelitbomben 1943 waren konvertierte normale Bomben, und auch die Gleitbomben in den amerikanischen und europäischen Arsenalen sind, zwar nicht ausschließlich, aber großteils, konventionelle Bomben mit einem Zusatzkit.
Dass die F-16 hier Wunder wirken kann, glaube ich nicht, aber in Kombination mit den zusätzlichen Bodegestützten Flugabwehrsystemen die aktuell in Europa, den USA und potenziell Israel vorbereitet werden, könnten sie dafür sorgen, dass der erfolgreiche Einsatz durch die russische Luftwaffe verlustreicher und seltener wird. Wie stark, das hängt von einigen unbeekannten Faktoren ab, allen voran der Einsatzbereitschaft der russischen Flugzeugflotte, und der Verlust-Toleranz der russischen Luftstreitkräfte (die bisher relativ niedrig war, nicht nur im Vergleich zu den russischen Bodentruppen, sondern auch wenn man den Maßstab der US Air Force über Vietnam heranzieht).