Ich mag ja Trittin nach wie vor sehr
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In "Ausschniten"
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SPIEGEL: Gilt Ihr Satz noch: Unsere Priorität liegt links der Mitte?
Trittin: Natürlich. Die großen Fragen der Gegenwart lauten: Wie limitiert man Marktmacht für Zwecke des Gemeinwohls? Wie versorgen wir Menschen mit bezahlbaren Wohnungen? Wie bekämpfen wir Ungleichheit? Wie setzen wir Klimaschutz um? All diese Fragen sind links der Mitte verortet. Da sind auch die Grünen verortet.
SPIEGEL: Wären Sie für ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken im Bund?
Trittin: Koalitionen werden über Inhalte entschieden. Bei der Frage, ob es eine soziale Verantwortung für die Gemeinschaft gibt, sind sich Grüne, SPD und Linke viel näher als Grüne und CDU, Grüne und CSU oder gar Grüne und FDP. Wenn man als Partei sagt, man möchte viel von seinen Inhalten umsetzen, ist es besser, dies in einer Konstellation zu tun, in der andere Ähnliches wollen. Sicher wäre es schön, eine linke Mehrheit im Parlament zu haben. Aber die Umfragen sprechen da aktuell eine andere Sprache. Und mit dieser Realität muss man umgehen.
SPIEGEL: Geht Ihnen als ehemaligem Mitglied des Kommunistischen Bundes das Herz auf, wenn ein 29-Jähriger wie Kevin Kühnert endlich wieder von Sozialismus und Kollektivierung spricht?
Trittin: Mein Herz geht eher auf angesichts der Berliner Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen". Die zielen auf den Kern des Problems, das wir heute als neue soziale Frage erleben. Menschen sind gezwungen, in Städten zu leben, um Arbeit zu finden. Sie sind nicht mehr in der Lage, in diesen Städten zu vernünftigen Preisen zu wohnen. Und darauf gibt die Initiative eine pragmatische Antwort.
SPIEGEL: Sie sind also auch ein Freund von Enteignungen?
Trittin: In Deutschland wird permanent enteignet. Wir enteignen für Autobahnen, für die Braunkohle, für Bahnstrecken. Wir enteignen, um die Ansprüche von Gläubigern von Banken zu sichern wie bei der Hypo Real Estate. Und jetzt soll es ein Tabubruch sein, wenn man enteignet, um Wohnraum zu erhalten? Ich bitte Sie! Vergesellschaftung bedeutet die Ausschaltung oder Limitierung von Marktmacht. Und das muss in manchen Bereichen nun mal sein. Wenn es ums Essen, ums Wohnen, um die Pflege oder andere Grundbedürfnisse geht.
SPIEGEL: Was wollen Sie sonst noch so vergesellschaften?
Trittin: Die Energieinfrastruktur. Ich fände es viel klüger, wenn wir statt einer Regulierung von vier unterschiedlichen Netzbereichen eine deutsche Netz AG hätten. Und zwar in öffentlich-rechtlicher Hand.
SPIEGEL: Als Hausbesetzer haben Sie früher mit Körpereinsatz Vergesellschaftungen erzwungen. Kein Problem damit, dass Sie Teil einer Gemeinschaft waren, die sich "Kommunistischer Bund" nannte?
Trittin: Nein, das war eben so. Wir haben im Übrigen besetzt, um den Abriss denkmalgeschützter Häuser zu verhindern – praktizierter Wertkonservatismus!
SPIEGEL: Waren Sie stolz auf die Bezeichnung Kommunist?
Trittin: Nein, das war eine Abgrenzung zur Sozialdemokratie. Denn die SPD war Helmut Schmidt und Nachrüstung.
SPIEGEL: Sie haben schon in den Siebzigerjahren gegen den Kapitalismus gekämpft. Wie hat sich der Gegner seither verändert?
Trittin: Wir haben es heute mit einem sehr stark globalisierten, finanzmarktgetriebenen Kapitalismus zu tun. Der schafft Monopole, die damals nicht vorstellbar waren. Internetmonopolisten wie Facebook oder Google müssten zerschlagen werden. So wie es in den USA im frühen 20. Jahrhundert geschah, als die monopolisierte Erdölindustrie zerschlagen wurde. Es darf nicht sein, dass diese Giganten neue Konkurrenz verhindern können.
SPIEGEL: Wie würden Sie Google oder Facebook dazu bringen, in Europa mehr Steuern zu zahlen?
Trittin: Es gab in der EU den Versuch, einen Mindeststeuersatz auf Unternehmensgewinne durchzusetzen. Ging leider nicht, weil da alle 28 Staaten zustimmen müssen. Man hätte stattdessen die Umsätze besteuern sollen, das ginge mit Mehrheitsbeschluss. Frankreich hat das richtigerweise vorgeschlagen – aber Deutschland tritt Frankreich zurzeit bei jeder Frage vors Schienbein. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz hat die Besteuerung der Umsätze der Internetriesen verhindert. Und da wundert sich die SPD über ihr massives Glaubwürdigkeitsproblem.
SPIEGEL: Verstehen Sie, dass Menschen erschreckt zusammenzucken, wenn Kühnert das Wort Sozialismus verwendet?
Trittin: Nein, angesichts der Probleme, die der Kapitalismus uns auftischt, ist eher die Retro-Aufregung darüber lustig.
SPIEGEL: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist die geringste seit der Wiedervereinigung. Hinter uns liegen Jahre des Wachstums. Ist das wirklich der passende Zeitpunkt, um das System infrage zu stellen?
Trittin: Deutschland hat zugleich ein verschärftes Gerechtigkeitsproblem. Das gemeinschaftlich gesteigerte Bruttosozialprodukt, das Wachstum, wird sehr ungleich verteilt. Wer viel hat, kriegt überdurchschnittlich viel, wer wenig hat, verliert zum Teil sogar. Wir haben ein wachsendes Problem der Ungleichheit, gerade was die Vermögen betrifft. Das obere Prozent besitzt so viel wie die unteren 40 Prozent der Bevölkerung. Einkommen, das aus Vermögen resultiert, hat höhere Wachstumsraten als Einkommen, das aus Arbeit resultiert. Damit geht die Schere weiter auseinander. Wir brauchen eine deutlich höhere Besteuerung von Vermögen und Erbschaften. In dieser Hinsicht ist Deutschland ein echtes Niedrigsteuerland. Ein Steuersumpf.
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