Der VW Abgas-Skandal –
Wenn Abgasgrenzwerte nicht in der Realität
sondern nur im Test eingehalten werden
VW hat weltweit in mindestens 11 Mio. Diesel-Pkw – davon der Großteil in Europa und in Deutschland – Spezial-Software eingebaut, die beim Abgastest das Auto automatisch in ein „Schadstoffsparprogramm“ versetzten, um die Einhaltung gesetzlich vorgeschriebener Abgas-werte zu schaffen. Der Skandal wurde nicht von deutschen Behörden aufgedeckt sondern von der US-Umweltbehörde EPA. Außerhalb des Tests waren Stickoxid-Emissionen in der Praxis um das 10- bis 40-fache höher als die amerikanischen Grenzwerte.
Überhöhter Stickoxidausstoß seit langen bekannt – Bundesregierung tut nichts
Der International Council on Clean Transportation (ICCT) belegt schon 2014 in einer Studie, dass die Stickoxidwerte auch in Europa auf der Straße die erlaubten Werte im Test im Durch-schnitt (!) um das Siebenfache übersteigen. Betroffen waren Autos vieler Hersteller, nicht nur von VW. Diese Studie war der Auslöser für die Untersuchungen der amerikanischen Umweltbe-hörde EPA, die daraufhin die Manipulationen bei VW aufdeckte. Auch der Bundesregierung war die Studie des ICCT seit 2014 bekannt. Auch gibt es seit Jahren zahlreiche andere Untersuchun-gen und Hinweise, dass neue Fahrzeuge die Grenzwerte bei CO2 und Stickoxiden zum Teil er-heblich überschreiten. Getan hat die Bundesregierung im Gegensatz zu den US-Behörden gar nichts.
Abgastests werden in Deutschland gar nicht überprüft
Schlimmer noch: Anderes als in den USA und anderen Staaten überprüft in Deutschland das zuständige und Minister Dobrindt unterstellte Kraftfahrtbundesamt die Abgastest der Autohersteller gar nicht. Das Amt hat für unabhängige Kontrollen bei Zulassung von neuen Fahrzeugmodellen weder Personal noch Geld noch die erforderliche Technik. So kontrolliert sich die Automobilindustrie im Ergebnis selber. Das ist das Ergebnis einer jahrelangen Kumpanei zwischen Autoherstellern und Bundesregierung. Es öffnet Manipulationen Tür und Tor und ist die eigentliche Ursache des VW-Skandals.
Dobrindt kannte Möglichkeit zur Abgasmanipulation mittels Software
Die Bundesregierung war auch darüber informiert, dass die in Rede stehende Software („Ab-schaltvorrichtungen“) zur Manipulation von Abgastests genutzt werden kann. Das gibt Minister Dobrindt noch im Juli diesen Jahres in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen Fraktion freimütig zu. Jetzt behauptet er, erst im Zuge des VW-Skandals davon aus der Zeitung erfahren zu haben.
VW-Skandal zeigt Greenwashing in der Autoindustrie
Die Automobilindustrie verspricht saubere Autos, kann dieses Versprechen im Alltagsbetrieb auf der Straße aber nicht einhalten. Alle Hersteller sind davon betroffen. VW hat es offensichtlich nur besonders dolle getrieben und zu eindeutig illegalen Methoden gegriffen. Der Schaden für Europas größten Autobauer ist immens: Absturz an der Börse, katastrophaler Imageverlust, zweistellige Milliardenkosten für Rückrufaktionen und Schadensersatzforderungen. Der Konzern ist ins Wanken geraten – Ausgang offen.
Nur wer Gesundheits- und Klimaschutz ernst nimmt hat auf dem Weltmarkt der Zukunft eine Chance
Die Lehre für die Automobilindustrie kann nur sein, wer saubere Autos verspricht, darf die Grenzwerte nicht nur auf dem Papier sondern er muss sie im Alltagsbetrieb einhalten. Dazu braucht es eine Bundesregierung, die die Industrie kontrolliert und nicht wegschaut und Manipulationen sogar noch fördert. Dass der Skandal in den USA aufgedeckt wurde, zeigt aber auch: Wer auf den Weltmärkten der Zukunft bestehen will, muss Klima- und Umweltschutz und nicht nur PS-Zahl und Design zum Kernelement sein Produkts machen. Diese Anforderungen erfüllen aber vor allem Wasserstoff- und Elektroautos und nicht die von der deutschen Automobilindustrie seit Jahren einseitig vorangetrieben Diesel.
In den USA drohen Strafen, in Deutschland wahrscheinlich nicht
Das Einsetzen von illegalen Abschalteinrichtungen zur Zykluserkennung ist in der EU wie in den USA verboten. Die EU schreibt vor, dass die Mitgliedstaaten Verstöße dagegen so sanktionieren müssen, dass diese Sanktionen abschreckend sind. Doch diese Vorgabe der EU scheint die Bun-desregierung nicht umgesetzt zu haben, so dass am Ende das eindeutig illegale Manipulieren von Abgaswerten in Deutschland anders als in den USA weder eine Straftat noch eine Ordnungswid-rigkeit zu sein scheint. Zwar kann in Typenzulassung entzogen werden, aber ob die Verantwort-lichen bei VW und der Konzern insgesamt in Deutschland auch juristisch belangt werden kann, ist derzeit noch völlig offen.
CO2-Grenzwerte werden nur im Labor nicht aber auf der Straße eingehalten
Das illegale Manipulieren der Stickoxid-Abgaswerte durch VW ist aber nur die Spitze des Eis-bergs. Seit Jahren weisen Grüne und Umwelt- und Verbraucherverbände darauf hin, dass die Messmethode an sich schon Verbrauchertäuschung ist. Das betrifft sowohl die gesundheitsge-fährdenden Stickoxide als auch das Klimagas CO2. Die Fahrzeuge aller möglicher Hersteller werden so – ganz legal – manipuliert, dass sie die jeweiligen Grenzwerte auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße einhalten. Fast jeder Autofahrer merkt das an der Zapfsäule: Der Neu-wagen soll laut Herstellerangaben 4 Liter Diesel auf 100 Kilometer verbrauchen, tatsächlich sind es aber 5,5 oder gar 6 Liter. Das Auto überschreitet selbst bei schonenster Fahrweise die Durch-schnittsverbrauchsangaben. Das ist Betrug an den Verbraucher*innen, aber auch eine Nichtein-halten der CO2-Grenzwerte für den Klimaschutz und infolgedessen auch ein Steuerbetrug, den die KFZ-Steuer bemisst ja am CO2-Ausstoss
Auf der Straße werden Stickoxid-Grenzwerte oft deutlich überschritten
Ähnlich verhält es mit den Stickoxid-Abgaswerten. Auf den Prüfständen der Automobilhersteller werden sie eingehalten. Unabhängige (hoffentlich!) Abgastests des ADAC bei über 150 Fahr-zeugen zeigen aber, dass die Grenzwerte im Realbetrieb bei etlichen Modell zum Teil deutlich überschritten werden. Das erklärt auch, warum seit Jahren die gesundheitsgefährdenden Stick-oxid-Werte in unseren Städten nicht wirklich zurückgehen und an der Mehrzahl der Messstatio-nen Grenzwerte überschritten werden, obwohl die Fahrzeuge offiziell immer sauberer werden, in Praxis aber halt nicht. Dass das kein Luxusproblem ist, zeigt eine Untersuchung der Max-Planck-Gesellschaft für Chemie: Der zufolge sterben allein in Deutschland jährlich 7.000 Menschen auf Grund von Schadstoffemissionen des Straßenverkehrs. Das sind deutlich mehr als die Zahl der Verkehrstoten. Die EU-Kommission hat ein Verfahren gegen Deutschland wegen der Nicht-Einhaltung der Sickoxid-Grenzwerte eingeleitet. Die Bundesregierung tut nichts.
Endlich Test auf der Straße einführen
Das Ausnutzen der vielfältigen Schlupflöcher in den Testverfahren für Abgas und Spritverbrauch ist deswegen möglich, weil die Autoindustrie in den zuständigen technischen Gremien in Genf und Brüssel selbst an der Entwicklung der Tests mitschreibt. Die Autoindustrie schreibt sich also ihre eigenen Tests. So sind das Vorwärmen des Motors auf eine bestimmte Temperatur, das Ab-klemmen der Lichtmaschine, der Einsatz von Spezialbereifung, das Verkleben von Lüftungs-schlitzen, sehr langsame, völlig realitätsferne Beschleunigungen und Höchstgeschwindigkeiten u. v. m. übliche und legale Manipulationsmöglichkeiten. Deshalb wird seit langem diskutiert einen neuen Testzyklus WLTP („World Light-Duty Test Proceedure“) in Europa einzuführen. Das wird von der Bundesregierung und der Autoindustrie seit Jahren verhindert. Nun soll er 2017 oder 2019 kommen – zu spät, um VW vor sich selber zu schützen. Auch der WLTP ist ma-nipulationsanfällig. Deshalb brauchen unabhängig Test und Kontrollen der Tests unter Realbe-dingungen auf der Straße.
Autoindustrie kontrolliert sich selber
Das andere strukturelle Problem ist, dass die Autoindustrie ihre Fahrzeuge selbst durch Sachver-ständigen testen lässt und diese Sachverständigen dann selbst bezahlt. Die Autoindustrie entscheidet wie die Tests gemacht werden und da darf niemanden wundern, dass die Grenzwerte immer eingehalten werden. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) macht dann nur noch den Stempel auf die Testergebnisse ohne sie selbst überprüfen zu können. Das war bis vor wenigen Jahren noch anders als z. B. auch das Umweltbundesamt (UBA) noch unabhängige Tests durchführte. Doch die Große Koalition unter Angela Merkel hat staatliche Kontrollen der Abgasmessungen faktisch abgeschafft, eines von vielen Elementen der Kumpanei von Autoindustrie und Bundesregierung.
Bisher keine Bereitschaft zu strukturellen Veränderungen
Leider macht es auch gut vier Wochen nach der Aufdeckung des Skandals in den USA nicht den Eindruck, dass Bundesregierung, VW und die Automobilwirtschaft insgesamt die nötigen Konsequenzen aus dem Skandal gezogen haben. Von einer von ihm selbst eingesetzten Kommission kann Verkehrsminister Dobrindt nicht einmal sagen, was sie genau bei VW ermitteln soll. Strukturelle Konsequenzen, z. B. bei der Kontrolle der Abgaswerte werden überhaupt nicht in Betracht gezogen. Im Gegenteil: Bundesregierung und Große Koalition schließen in alter Kum-panei die Reihen mit der Automobilwirtschaft. Der Skandal wird auf einige kriminelle Personen bei VW reduziert – ansonsten wird suggeriert, sei doch alles gut. Das geht soweit, dass der Vertreter des Verbandes Automobilwirtschaft in einer Anhörung der Grünen Fraktion VW als „Geschädigten“ bezeichnete und von „einzelnen Regelverstößen“ sprach. In der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde des Bundestags forderte ein Koalitionsabgeordneter gar, dass die Grenzwerte nach oben korrigiert werden müssten, damit VW und alle anderen sie einhalten können. Ein anderer Kollege sah in dem Skandal eine von den USA inszenierte Verschwörung gegen die deutsche Automobilindustrie.
Was jetzt geschehen muss
Statt die Reihen zu schließen und weiter die schützende Hand über die Automobilindustrie zu halten müsste die Bundesregierung ernsthafte Konsequenzen aus dem Skandal ziehen und damit auch Vertrauen auf den Weltmärkten für deutsches Auto-Know-How zurückgewinnen:
- Selbstverständlich muss VW die eindeutig illegalen Bestandteile bei allen Fahrzeugen kostenlos entfernen und ggf. umrüsten, so dass die Grenzwerte eingehalten werden. Darüber hinaus müssen Bundesregierung und Autoindustrie einen Plan entwickeln, wie die Fahrzeuge im Bestand die Abgaswerte im Bestand einhalten können. Die Käufer haben ein Produkt mit diesen Eigenschaften erworben und können deshalb die Einhaltung der Grenzwert erwarten. Außerdem können nur schnell die Stickoxid-Werte in den Städten gesenkten werden. Der erste Schritt sind Abgasmessungen unter Real-Bedingungen von unabhängigen Instituten und vollständige Transparenz über die Ergebnisse.
- Deutschland braucht wieder unabhängige Kontrollbehörden, die die Überwachung von Abgasgrenzwerten an den Fahrzeugen tatsächlich auch durchführen oder Dritte damit be-auftragen können. Denkbar wäre, dass das Umweltbundesamt diese Aufgabe (wieder) übernimmt.
- Abgastest sollten grundsätzlich nicht mehr auf dem Prüfstand stattfinden sondern unter Alltagsbedingungen, damit sie realistische Emissionswerte und –verbräuche ergeben. Wie in den USA sollten die Bedigungen den Autohersteller im Detail unbekannt bleiben bzw. regelmüßig verändert, damit diese ihre Fahrzeugtechnik nicht wie bei VW jetzt ge-schehen darauf einstellen können.
- Darüber hinaus stellt sicher aber grundsätzlich die Frage, inwieweit sind Diesel- und Verbrennungsmotoren im Allgemeinen vor dem Hintergrund von Gesundheits- und Kli-maschutz noch zukunftsfähig? Ist der Skandal nicht auch Ausdruck davon, dass der Die-selmotor im Hinblick auf Sauberkeit an seine Grenzen stößt und das Mantra der deut-schen Automobilindustrie vom „Clean Diesel“ zumindest auf Dauer eine Chimäre ist? Die Zukunft gehört wohl nicht dem Diesel sondern Elektro- und Wasserstofffahrzeugen. Statt den Diesel zu subventionieren sollten wir in Elektromobilität investieren. Die Bun-desregierung versäumt es weiterhin, entschlossen die breite Einführung der Elektromobi-lität zu fördern. Wir wollen eine starke deutsche Automobilindustrie. Die hat auf den Weltmärkten der Zukunft nur eine Chance, wenn wir hierzulande höchste Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschutzstandards haben und auch für konsequente deren Einhaltung sorgen.
LINKS ZUM WEITERLESEN
Antwort auf die Anfrage der Grünen zu CO2- und Spritverbrauchsangaben von Pkw aus dem Sommer: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/056/1805656.pdf
: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/060/1806070.pdf
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/039/1803912.pdf
http://www.gruene-bundes-tag.d…luss_Automobilpolitik.pdf
Den Abgas-Skandal aufklären - Themen - Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Link zur Aktuellen Stunde im Bundestag zum VW-Skandal:
http://www.bundestag.de/mediat…nation=search&mask=search
Links zur Fragestunde mit Dobrindt und eine Woche später mit Barthels (ab Minute 5!):
Deutscher Bundestag - Mediathek
Deutscher Bundestag - Mediathek (ab Minute 5!)
Links zu Seiten der DUH
Deutsche Umwelthilfe e.V.: Luftreinhaltung
Deutsche Umwelthilfe e.V.: Pressemitteilung[tt_news]=3624&tx_ttnews[backPid]=84
Link zur Seite des ADAC mit Test
Stickoxidemissionen von Dieselmodellen im ADAC EcoTest
detail - Oliver Krischer[tt_news]=20478&tx_ttnews[sViewPointer]=