Ich springe ja nicht direkt auf den Zug auf, wenn Social Media verteufelt wird. Gesunder Menschenverstand gehört aber dazu. Hier fehlen mir aber fast schon die Worte.
Wer schaut sowas und warum schaut er das? Sind in der Gruppe der 8-40 jährigen ja nicht so wenige.
Kann jetzt nicht für die Zuschauenden bei KuchenTV sprechen, das bisschen was ich von ihm gehört habe reichte aus um festzustellen, dass es nicht meine Zielgruppe ist, aber ich schalte des öfteren mal polikfokussierten Streams rein, die oftmals nach ähnlichen Schematas ablaufen, wie die hier genannten.
Von HasanAbi, Vaush über David Pakman, The Majority Report bis hin zu Daily Wire und Lowder with Crowder.
Es ist halt leichte Unterhaltung, welche man nebenher konsumieren kann, während man den Haushalt macht, kocht oder irgendetwas anderes tut, in etwa so wie die Nachmittags Talkshows im Privatfernsehen. Es ist leicht zu konsumieren und auch leicht zu produzieren.
Anders als Video Essays, Reportagen, Nachrichtensendungen usw. ist die Informationsdichte pro Minute geringer und ich muss keine starre Struktur verfolgen, um nicht den Faden zu verlieren. Ich kann auch einfach mal den Raum verlassen und ein paar Minuten später wiederkommen ohne großartig das Gefühl zu haben was zu verpassen und leicht wieder einsteigen. Das macht diese Formate flexibel und da es weniger zeitliche Beschränkungen gibt, ist zudem eine spezifischere Auseinandersetzung zu einen Thema auch möglich, die in einen anderen Format zeitlich gar keinen Platz hätte, oder aber auch einfach zu nischig wäre.
I.d.R. interessieren sich die meisten Menschen für die Meinung von anderen, da es einem hilft sich zum einen selbst besser in die Gesellschaft einzuordnen und zum anderen auch um andere Positionen kennenzulernen und zu verstehen.
Aus denselben Grund halten wir in unserem Alltag Smalltalk über alle möglichen Themen, lesen Kolumnen in den Tageszeitungen und schalten Abends bei Maischbergen, Lanz und Co rein.
Manche sind einfach am besprochenen Thema interessiert, manche suchen neue Blickwinkel, oder Argumente für ihre Position und manche sind auch einfach nur an der Bestätigung ihrer bereits gefestigten Meinung interessiert. Gerade die Validierung von Letzterem ist ein starker psychologischer Hebel, da es ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft auslöst.
Man denke hier nur an Abenden auf der Couch mit Freund*innen, schaut eine Serie, Film etc. und diskutiert währendessen über das Geschehen an das man gemeinsam gerade teilnimmt. Social Media nimmt dieses Erlebnis und macht es möglich dies global zu teilen mit einer exorbitanten Anzahl an anderen Menschen. Klar, die Art und Weise ist eine andere, aber die psychologische Grundmechanik dahinter ist sehr, sehr ähnlich.
Und dann sind da natürlich auch die Beefs, welche durch reaction videos zwischen den Parteien entstehen.
Ich empfinde diese als eine ähnliche guilty pleassures wie bspw. eskalierende Talkshows, oder sogenannte reality tv shows, nur das sie halt weniger gestellt wirken.
Um einmal in der Poltikblase zu bleiben ein Beispiel aus dem Sommer diesen Jahres.
Eine der größten Kanäle auf Youtube H3H3, welche eher weniger politischen Inhalt macht, kritisierte in mehreren reaction videos die Sendung und die darüber verbreiteteten Meinungen von Steven Crowder. Als Anmerkung dazu, Crowder wurde übrigens bereits mehrfach von mehreren Social Media Plattformen temporär gebannt Aufgrund von hate speech und Desinformation. Das ist übrigens auch der Typ aus dem "change my mind" Meme, wo Crowder, ähnlich wie Ben Shapiro, mit einen zuvor ausgewählten Thema und einem rhetorischen Crashkurs dazu auf College Campussen Studierende "debattiert" und mit seinen rechts-konservativen Ansichten "Libtards zerstört".
Crowder bekommt ein Bigotterie Bingo schneller voll, als man blinzeln kann und vermeidet gerne echte Debatten mit gleichwertigen oder gar rhetorisch stärkeren Gegnern, u.a. sagte er kurzfristige eine Debatte mit Sam Seeder von der Majority Report Sendung ab.
Die Kritik von H3H3 war im wohl aber zuviel und Crowder sah in ihm wohl ein leichtes Opfer und forderte ihn daher zu einer Debatte heraus betreffend den amerikanischen Covid Maßnahmen.
Direkt zu Beginn der Sendung lies H3H3 dann eben jenen Sam Seeder zuschalten, um die Debatte gegen Crowder zu führen. Dieser und seine Crew hatten eine leicht hysterische Reaktion und gingen schnell dazu über Sam Seeder mit stark codierten antisemitischen Diffamierungen zu belegen, bevor sie die Unterhaltung abbrachen.
Was folgte war tagelang eine content Flut von fast allen politikorientierten Streaming und Youtube Kanälen mit den unterschiedlichsten Meinungen zu diesem Vorfall. Manche waren interessant, informativ, lustig, aber auch stellenweise unnötig oder gar lächerlich, dazu gab es haufenweise Memes in den unterschiedlichsten Formen.
Man kann davon halten was man möchte, aber es ist eine Form von Inhalt, den man so in den klassischen Medien nicht geboten bekommt und die Tatsache, dass es dafür ein Millionenpublikum gibt und einzelne Personen damit mehr als nur ihren Lebensunterhalt bestreiten können, zeigt, dass es dafür einen Markt gibt.