Diskussion: Bedingungsloses Grundeinkommen / Diskussion: Mindestlohn ab S.2

  • Nein, die Ausländer sind nicht schuld, aber warum, sollte ich mit einer hohen Qualifikation einen Job machen, wo es 50 andere Leute gibt die den machen könnte und dann auch noch für ein gehalt, der maximal knapp über den hartz IV Satz liegt?
    Ich arbeite doch nicht 40 Stunden die Woche, damit ich am Monatsende 10€ mehr in der Tasche haben,als wenn ich nix tue.

    Du hast die Ängste der Gegner eines Grundeinkommens hervorragend auf den Punkt gebracht. Die Reichen und Mächtigen haben in den letzten 2000 Jahren schon so viel verloren. Zuerst nahm ihnen das Christentum die Sklaverei, dann die Industrialisierung die Leibeigenschaft.
    Jetzt soll auch noch die bezahlte Zwangsarbeit kippen ?!


    Wann immer die Diskussion auf das Grundeinkommen kommt kennen die Reichen, aber auch die Gebildeten, nur eine Frage: WER RÄUMT MEINEN MÜLL WEG ?
    Ich habe doch nicht umsonst studiert, geerbt, intrigiert um jetzt niedere Arbeiten zu verrichten.


    Gestern sind in einer Müllverbrennungsanlage in Berlin 3 Arbeiter von einer Hebebühne erschlagen worden, weil die Berliner Entsorgungsbetriebe es für eine kostensparende Idee hielten unerfahrene Zeitarbeiter gefährliche Wartungsarbeiten durchführen zu lassen !
    Hätten die ein Grundeinkommen gehabt, wären die drei, da geb ich dir recht, gar nicht da gewesen. Wer hätte sich denn dann an derer statt erschlagen lassen ?
    Oder hätte qualifizierteres Personal eine bessere Absicherung bekommen ?


    Es gibt auch Menschen, die sehen Arbeit nicht nur aus dem Blickwinkel des Gehaltes. Es gibt viele 1- € Jobber, die froh sind, einfach mal wieder "raus" zu kommen und eine Arbeit zu tun, die honoriert wird. Einfach das Gefühl, gebraucht zu werden, kreativ zu sein und eine Anerkennung zu bekommen, auf deutsch: nach Hause zu kommen und das Gefühl zu haben, etwas Sinnvolles getan zu haben. Ich persönlich könnte zig Jobs haben, wo ich das Doppelte verdiene, aber Geld ist nicht alles.


    Ich bin weiß Gott nicht oft deiner Meinung, Mogges, aber hier stimme ich dir zu. Hätte ich ein Grundeinkommen X, würde ich vermutlich meinen jetzigen Job nicht mehr ausüben, aber sinnvolle Tätigkeiten gibt es mehr als genug.
    Hier bei uns sucht die Industrie- und Handelskammer immer wieder Paten für Azubis aus Problemfamilien, um denen zu helfen ihre Ausbildung zu bewältigen. Da sich aber die Zeiten in denen der Helfer benötigt wird mit meiner Arbeitszeit decken, kann ich jetzt nichts machen.
    Ein Grundeinkommen, in welcher Höhe auch immer, wäre defintiv nicht mein Ende als tätiger Mensch. Ich könnte mich dann höchstens mehr auf selbstbestimmtes Handeln fokussieren. Meine Phantasie von sinnvoller Tätigkeit reicht schon etwas weiter als zu rechnen, ob ich für 10 € mehr im Monat überhaupt noch aufstehe.

  • Also fasse ich mal deine Aussage in eigene Worte.


    Es ist gut, das es Menschen gibt, die gezwungen sind für wenig Geld gefährliche und schmutzige Arbeiten für dich zu erledigen. Das nenn ich wenigstens mal eine ehrliche Aussage.


    Äh, bitte was? Willst du jetzt sagen, dass am besten alle Menschen angesehene Juristen werden, damit die Gesellschaft überlebt?! Es gibt nunmal Menschen, die keine Lust auf Bildung haben. Es gibt nunmal Menschen, die es nicht kümmert wenn sie keinen Abschluss haben. Und es gibt nunmal Menschen, die trotzdem gerne ihre Arbeit machen. Auch wenn sie schmutzig und gefährlich ist. Du klingst grad so, als ob du alle Jobs abschaffen willst, die "gefährlich oder schmutzig" sind.

    Das beste Beispiel für die Verlogenheit in der Diskussion ist doch die Müllabfuhr. Gäbe es keine Müllabfuhr, müßte man den Krempel ja selbst zur Deponie oder Müllverbrennunugsanlage bringen.


    Lass mich raten, du fährst jeden Freitag deinen Müll zum Wertstoffhof, trennst alles schön nach Papier, Plastik, Glas, Bio und Speermüll. :ironie:

    Da findest du es eben sehr praktisch, das man Menschen über "die Not" zwingt, das für dich zu tun.


    Ja, außerdem hätte ich gern die Sklaverei wieder und ich fresse kleine Kinder.


    Tiefbau ist auch so ein feines Geschäft. Wer könnte denn noch neue Straßen finanzieren, wenn es nicht diese Wichtel gäbe, die sich für kleines Geld das Rückgrat mit Arbeit versauen ?


    Klingt irgendwie so, als ob du einfach gegen jede Arbeit bist, die nicht im Sessel eines Büros stattfindet.


    Wie sollte man sich auch noch drei Urlaube im Jahr leisten, wenn es nicht diese dummen Tussen gäbe, die für 5 € beim Frisör arbeiten ?


    Stimmt, schließlich fahr ich immer für 20 Euro in die Karibik. Kann ich mir nur dank den billigen "Tussen" leisten...


    Aber alles selbstgewählte Schicksale. Hätten ja das Abitur machen können und dann studieren. Was kannst du dafür, das diese Nichtwoller aus ungepflegten Gegenden, mit noch ungepflegteren Eltern und abruchreifen Schulen kommen ?


    Warum ist denn ehrlich Arbeit soooo schlecht?

  • Ich glaube auch nicht, dass sowas funktionieren würde.


    Ein Staat, der ein derartiges Grundeinkommen einführen würde, dürfte wohl innert kürzester Zeit bankrott sein. Noch schlimmer wären aber vermutlich die sozialen Spannungen, die dadurch entstünden.


    In einem traditionell republikanischen Staatssystem hat der Staat folgende zentralen Aufgaben:


    - Schutz der Bevölkerung vor internen und externen Feinden ("Recht und Ordnung")
    - Aufbau und Unterhalt der Infrastruktur
    - Unterhalt eines funktionierenden, für alle zugänglichen Basis-Gesundheitssystems
    - Bereitstellung eines sozialen Auffangnetzes für jene, die es tatsächlich benötigen


    Der Bürger andererseits gibt dem Staat für diesen "Service" einen Teil seiner Einkünfte (Steuern).


    In meinen Augen ist dieses System, das zu weiten Teilen auf einer positiven Grundhaltung der Bevölkerung gegenüber dem Staat angewiesen ist, nicht kompatibel mit der in diesem Thread behandelten Idee. Die positive Grundhaltung gegenüber dem Staat nährt sich nämlich hauptsächlich aus dem Gefühl, dass alle die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben. Kurz: Soziale Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit muss aber auf alle Seiten funktionieren. Nicht nur Bedürftige, auch Vermögende dürfen in einem Rechtsstaat soziale Gerechtigkeit einfordern!


    Nach der Einführung eines Grundeinkommens käme es meines Erachtens innert kürzester Zeit zu extremen sozialen Spannungen, die den Staat letztlich kollabieren liessen. Die Angehörigen der "Zahlenden Fraktion" hätten über kurz oder lang die Nase voll davon, ihr Geld in einen überbordenden Wohlfahrtsstaat zu pumpen. Die Angehörigen der "Nehmenden Fraktion" andererseits würden wohl auch noch das letzte Quentchen Identifikation mit dem Staat verlieren. Es entstünden ganze Gruppen und Generationen von Menschen, denen die Bedeutung von Arbeit und Selbstunterhalt völlig fremd wäre. Gleichzeitig wären diese Menschen aber gemäss modernem Rechtsstaat gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft, ausgestattet mit allen demokratischen Rechten, was wiederum zu Spannungen mit den Angehörigen der "Zahlenden Fraktion" führen würde, weil diese den Zustand als ungerecht empfände.


    In der weiteren Konsequenz käme es wohl zu verstärkter Segregation zwischen Arm und Reich (Ghettobildung). Gleichzeitig würde die "Zahlende Fraktion" immer mächtiger, weil sie politisch viel mehr Einfluss ausüben könnte, als die "Nehmende Fraktion". Die Politik würde zusehendes durch diese "Zahlende Fraktion" beeinflusst, was bis in ein Abhängigkeitsverhältnis hinein ginge. Die Zweiklassengesellschaft wäre Realität, und zwar in ihrer extremsten Form. Eine gesellschaftliche Ordnung wie in antiken Staatsstaaten würde sich herausschälen, unterteilt in eine potente, einflussreiche Schicht des Geldadels und in eine unzufriedene, abhängige Schicht des Empfängertums. Am Ende hätten wir wieder die Regentschaft der Eupatriden. Die Demokratie nach unserem heutigen Verständnis wäre damit jedenfalls nicht kompatibel.

  • Die Ghettobildung zwischen Arm und Reich ist doch schon längst in der Mache, außerdem ist das Bürgergeld oder bedingungsloses Grundeinkommen keine Idee von Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden sondern von Vertretern der Wirtschaft höchst selbst. Die einzige Partei in Deutschland die dies unterstützt ist die FDP. Alle anderen haben damit nichts am Hut.


    Wenn die Wirtschaft also dies selbst entwickelt dann müssen die ja auch einen Vorteil darin sehen und ich glaube absolut nicht das, das Bürgergeld irgendwelchen sozialen Sprengstoff enthält, denn es bekommt ja jeder.

  • Crusader

    Zitat

    ...und ich glaube absolut nicht das, das Bürgergeld irgendwelchen sozialen Sprengstoff enthält, denn es bekommt ja jeder.


    Aber es zahlt nicht jeder! Das ist meines Erachtens viel entscheidender.


    Ausserdem: Wenn eine Ghettobildung zwischen arm und reich längst in der Mache ist, wieso soll man sie dann durch solche Massnahmen noch verstärken?

  • Du hast die Ängste der Gegner eines Grundeinkommens hervorragend auf den Punkt gebracht. Die Reichen und Mächtigen haben in den letzten 2000 Jahren schon so viel verloren. Zuerst nahm ihnen das Christentum die Sklaverei, dann die Industrialisierung die Leibeigenschaft.
    Jetzt soll auch noch die bezahlte Zwangsarbeit kippen ?!


    Richtig, ich bin gegen dieses System, da es leider Menschen gibt, die das ausnutzen würden und arbeitende Menschen benachteiligt.
    Och die armen Reichen und Mächtigen tun mir sooooo leid. Ich halte den Marxismus nach wie vor, für das beste Gesellschaftssystem, leider wurde er im Kommunismus suboptimal umgesetzt.

  • Also ich fasse mal zusammen: die Kritik dürfte deutlich überwiegen.


    Hauptkritikpunkt Finanzierbarkeit:
    Ich kann das natürlich nicht durchrechnen, ich bin aber sehr wohl der Meinung, dass man es finanzieren könnte, wenn man es denn finanzieren wollte. Hartz 4 liegt mit sämtlichen Zuschüssen (Miete ect.) nicht soweit darunter. Das einzige was wegfallen würde, wäre der beständige Druck, der auf die Arbeitnehmer ausgeübt wird. Gleichzeitig würden natürlich andere staatliche Hilfen gestrichen, wofür jeder selbst sorgen müsste = Kostensenkung in anderen Bereichen. Ich glaube, würde man es konsequent umsetzen, käme man bei +/- 0 raus, nur die Menschen hätten erstmal 1000€ mehr in der Tasche. Nicht zu vergessen, die höhere Kaufkraft gerade im unteren Lohnsegment. Diese würde wiederum die Wirtschaft fördern = höheres Steueraufkommen und mehr Abreitsplätze.


    Kritikpunkt Faulheit und "Wer macht die unbequemen und gefährlichen Jobs":
    1. Mogges hat absolut recht, die meisten Menschen WOLLEN arbeiten. Kaum jemand ist glücklich, wenn er den ganzen Tag auf der Couch hockt. Die paar Wenigen die das betrifft, sind vernachlässigbar. Arbeit dient auch der Selbstverwirklichung, dem Knüpfen sozialer Kontakte, der Erfahrung nützlich zu sein und gebraucht zu werden. Die meisten Menschen wollen daher arbeiten, ein Grundeinkommen würde ihnen ermöglichen, die Arbeit auszuüben, die ihnen auch wirklich entspricht. Erfahrungsgemäß ist jemand sehr viel leistungsstärker, wenn er etwas macht, woran sein Herz hängt, als wenn er stupide eine "Pflicht" erfüllt. Niemand kann bisher sagen, was dieser Effekt für wirtschaftliche Konsequenzen hätten. Ich rechne mit einem Ansteigen der Produktivität. Außerdem stehen wir lanfristig ohnehin vor dem Problem, dass viele Arbeiten automatisiert werden, und demnach garnicht mehr genügend Jobs angeboten werden können. Sinnvolle Alternativen wären hier z.B. ehrenamltiche Tätigkeiten. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ist sowas durchaus denkbar.
    Gerade bei gefählrichen Jobs würde dann mit Sicherheit der Lohn drastisch steigen. Das heißt sicher nicht, dass niemand die Arbeit machen wird, es heißt nur, dass die die sie mache zukünftig besser bezahlt werden müssen, damit der Anreiz für ihre Tätigkeit höher wird.


    Geht dem Staat dadruch Geld verloren? Nein, es bleibt ja im Wirtschaftskreislauf und treibt diesen an.


    2. Es geht mir weniger darum, ob das in nächster Zeit umsetzbar ist, sondern darum es mal in einem Gedankenexperiment gründlich und offen durchzuspielen. Welche Antwort haben wir denn, wenn es zukünftig (wenn nicht schon jetzt) wirklich nicht mehr genug Arbeit für alle gibt? Was sagen wir dann denen, die keine Arbeit mehr haben?

  • Was in dieser Rechnung aber nicht auftaucht sind die zunehmende Anzahl an Rentnern und die abnehmende an Kindern, die die ganze Sache nicht finanzieren können. In einigen Jahren wird unser System ohnehin kollabieren. Man könnte es beispielsweise über einen erhöhten MwSt-Satz refinanzieren, wäre aber politisch nicht durchsetzbar, denke ich. Das treibt die Wähler wieder ( noch mehr ) in die radikale Ecke, auch wenn wir mit 19% noch relativ gut darstehen. In Ungarn sind jetzt 30%! im Gespräch um die Wirtschaftskrise zu finanzieren.

    Zitat

    Welche Antwort haben wir denn, wenn es zukünftig (wenn nicht schon jetzt) wirklich nicht mehr genug Arbeit für alle gibt? Was sagen wir dann denen, die keine Arbeit mehr haben?

    Arbeit wird es immer geben, nur ob sie getan wird, steht auf einem anderen Blatt.

  • Wenn jemand ein Grundeinkommen von 1000€ bekäme, bekommt er ja nicht noch eine staatliche Rente zusätzlich. Also hier gilt ganz klar "entweder... oder...". Beides Zusammen geht natürlich nicht. Es sei denn es handelt sich um private Rentenansprüche, die sich derjenige selbst erworben hat. Die Regelung kann dann rückwirkend natürlich nur für diejenigen gelten, die bisher mit ihrer staatlichen Rente unter 1000€ lagen. Alle anderen Renten müssten eben wie gehabt auslaufen.


    Bei immer weitergehnder Automatisierung bin ich mir mit der Arbeit nicht so sicher. Ich halte es nicht für vollkommen ausgeschlossen, das wir in 25 Jahren bezahlbare Roboter haben, die die Aufgaben einer Hausfrau und andere Tätigkeiten perfekt erfüllen können. In 50 Jahren bin ich mir fast sicher. Und dann?

  • Nein, ich meinte auch nicht, daß die Rentner das noch oben drauf bekommen, sondern diese Bevölkerungsschicht als Finanzier des ganzen nicht zur Verfügung steht. Die Schicht, die alles finanzieren soll, wird immer dünner. Als Folge dessen wird zwangsläufig der Satz von 1000,- € sinken oder die Steuereinnahmen müßten deutlich zunehmen, nur wie?

  • Die Gesellschaft steht vielleicht nicht zur Finanzierung zur Verfügung, aber die Wirtschaft.


    Die Wirtschaft soll dem Volk dienen. Momentan dient das Volk der Wirtschaft.
    Wenn Menschen für Löhne arbeiten, bei denen die ARGE noch Geld dazu bezahlen muß, kann man ja fast von einer Wirtschaftssubvention sprechen.


    Auch wenn ich die Forderung eines bedingungsloses Grundeinkommens anfangs für absurd gehalten habe, finde ich im Laufe des Threads die Idee zumindest immer interessanter.
    Aufgrund immer weiter fortschreitender Automatisierung, Rationalisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen wird immer weniger Arbeitsleistung benötigt. Daher (und aus anderen genannten Gründen) wird die Finanzierung des Staates auf herkömmlicher Weise sicher tatsächlich zusammenbrechen. Es bedarf eines neuen Systems.
    Anstatt immer nur zu beschreiben welches System warum nicht geht, finde ich es löblich, daß der JohnOlt und andere mal was neues auf den Tisch schmeißen, sei es auch nur um die Denkweise mal in eine neue Richtung zu bekommen.


    Nee, ich habe nichts gegen Arbeit. Ich gehöre sogar zu den wenigen Leuten, die gerne arbeiten gehen. Ich freue mich auf Montag. Viel bezahlt wird nicht, aber ich würde den Job niemals gegen eine besser bezahlte Arbeit, die keinen Spass macht tauschen. Geld ist nicht alles.

    [i]„Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst konstruierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschheit wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt.
    Das Geld ist das den Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dieses fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an."
    [align=center][color=#ff6600]Karl Marx.

  • Eigentlich ist es ja auch interessant, das wir hier zwar ständig über die mögliche Lösung eines bestehenden Problems diskutieren, nicht aber über dessen Ursachen und Hintergründe.


    Wieso fehlt es denn an allen Ecken und Enden in der Sozialpolitik?


    Das hat sicher nicht primär damit zu tun, dass es heute viel mehr faule und schmarotzerhafte Leute gibt, welche den Sozialstaat aussaugen, wie es uns die Vertreter der politischen Rechten immer wieder mal gerne suggerieren wollen. Eine solche Erklärung greift schlichtweg zu kurz.


    Die Probleme mit den überbordenden Sozialausgaben sind meines Erachtens systembedingt. Aus welcher Zeit stammen denn unsere sozialen Sicherungssysteme (Renten, Invalidität, etc.)? In den meisten Staaten West- und Mitteleuropas funktionieren die Sozialsysteme immer noch nach den selben Grundprinzipien, wie zu Zeiten ihrer Entwicklung – und das liegt meistens 30 bis 50 Jahre zurück. Sprich: Unsere Sozialsysteme stammen aus einer Zeit, in welcher völlig andere Umstände herrschten. Sie wurden im Grundgerüst in den boomenden 50er und 60er-Jahren entwickelt – und zwar auch basierend auf der damaligen Geisteshaltung. Damals herrschte Aufbruchsstimmung, fast jeder hatte Arbeit. Zudem war die demografische Zusammensetzung der Bevölkerung anders als heute (mehr Junge, weniger Alte, mehr Familien, weniger Einpersonenhaushalte, etc.). Die Liste der kleinen, aber wesentlichen Unterschiede liesse sich noch beliebig verlängern.


    Der springende Punkt ist doch, dass wir es seit damals versäumt haben, die Sozialsysteme in unseren Ländern der Entwicklung und Veränderung in der Gesellschaft anzupassen. Ein gutes Beispiel dafür ist die AHV in der Schweiz (das Rentensystem). Dieses System baut zwingend auf der Voraussetzung auf, dass die Zahl der Werktätigen (also der Steuerzahler) massiv höher ist, als die Zahl der Rentner. Dieses System baut auch darauf auf, dass die Menschen nicht so alt werden, wie es heute mittlerweile der Fall ist. Das Schweizer AHV-System ist also sozusagen ein Relikt aus einer anderen gesellschaftlichen Epoche. Durch die demografischen Veränderungen kommt es aus dem Lot.


    Zweites Beispiel IV (Invaliditätsversicherung), auch in der Schweiz: Auch dieses System baut darauf auf, dass die Zahl der IV-Empfänger – also der Bezüger – weitaus geringer ist, als die Zahl der IV-Zahler. Zudem wurde es in einer Zeit konstruiert, in welcher die Zahl der Krankheiten und Gebrechen, für welche man IV-bezugsberechtigt war, relativ überschaubar war. Heute bekommt man in der Schweiz für psychische Probleme unter Umständen eine lebenslange IV-Rente. In der Ursprungsversion dieses Systems war das gar nicht vorgesehen.


    Wir haben diese Systeme in den letzten 30 Jahren suksessive wie Weihnachtsbäume erweitert und ausgebaut: Hier mal ein Kügelchen, dort mal ein Sternchen, etc. Mittlerweile hängt der Baum aber überall durch, weil man bei der ganzen Teilchenpolitik vergessen hat, das tragende Gerüst ebenfalls zu erneuern. Darin liegt doch der Hund begraben.


    Ich kenne die Zustände in Deutschland nicht so genau. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es da ganz ähnlich aussieht.

  • Was jetzt folgt hat zwar nichts mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun, aber da dieser Thread eher vor sich hindümpelt und von mir ist, mache ich jetzt mal ein neues Fass auf:


    Das ist mal eine interessante Nachricht. Ausgerechnet der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt fordert nun einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche. Also genau der Vorschlag, wofür er und andere die SPD monatelang geprügelt haben, von wegen es würde die Wirtschaft kaputt machen und die Betriebe ins Ausland vertreiben. Ein sehr interessanter Sinneswandel, den man sich gut merken sollte, wie ich finde.


    Zitat

    Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt plädiert bei der Zeitarbeitsbranche für die Einführung eines Mindestlohns. Generell lehne er Mindestlöhne zwar ab, in einzelnen Branchen könnten sie aber sinnvoll sein, sagte Hundt dem Deutschlandfunk. Grund sei die Öffnung des Arbeitsmarkts für osteuropäische Arbeitskräfte im kommenden Jahr. Deshalb sei er persönlich sehr um einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche bemüht.
    "Es darf nicht sein, dass deutsche Zeitarbeitsunternehmen über Filialen in Polen oder Tschechien dann Zeitarbeitskräfte mit Entgelten von drei, vier oder fünf Euro pro Stunde ins Land bringen." Das würde die Zeitarbeit diskreditieren und beschädigen, erklärte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
    Zugleich bekräftigte Hundt, er sehe grundsätzlich trotz des Konjunkturaufschwungs keinen Spielraum für Lohnerhöhungen. Die moderate Lohnpolitik der vergangenen Jahre sei ein Grund für die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt gewesen. "Wir dürfen den derzeitigen Aufschwung auf gar keinen Fall belasten oder gefährden", bekräftigte der BDA-Chef.
    Er warnte die Gewerkschaften davor, mit zu hohen Lohnforderungen in die kommenden Tarifrunden zu gehen. Die Gewerkschaften hatten angekündigt, deutlich höhere Löhne durchsetzen zu wollen. Die Beschäftigten hätten einen Anspruch darauf, am Aufschwung angemessen beteiligt zu werden.

  • War ja mein Reden.
    Ein Mindestlohn kann ja auch für den Arbeitgeber vorteilhaft sein.
    Ähnlich wie das Arbeitszeitgesetz würde es zu mehr Planungssicherheit führen und den Unternehmer vor der Dumpinglohn-Konkurrenz schützen.
    Davon ab sollten die Zeitarbeiter den selben Lohn bekommen wie die Festangestellten. Kostet dann etwas mehr, aber dadurch erkauft man sich ja auch die gewünschte Flexibilität, aber wie man an den Gewinnsteigerungen von Volkswagen und Mercedes sieht, dürfte ja Geld nicht das Problem sein.


    "Das würde die Zeitarbeit diskreditieren..."
    Hier ist ja der Haken. Die schöne Zeitarbeit ... wo man doch jeden so schön heuern und feuern und durch temporäre Beschäftigung die Arbeiter so schön gefügig machen kann. Der Traum jedes Arbeitgebers.

    [i]„Das Geld ist der allgemeine, für sich selbst konstruierte Wert aller Dinge. Es hat daher die ganze Welt, die Menschheit wie die Natur, ihres eigentümlichen Wertes beraubt.
    Das Geld ist das den Menschen entfremdete Wesen seiner Arbeit und seines Daseins, und dieses fremde Wesen beherrscht ihn, und er betet es an."
    [align=center][color=#ff6600]Karl Marx.

  • Im Zuge eines Streitgesprächs mit einem völlig verwirrten Bekanten - zumindest nahm ich während des Gesprächs an, dass er verwirrt ist - kam das Thema "Bedingungsloses Grundeinkommen" auf den Tisch. Man wollte mir dabei erklären, dass in Schleswig Holstein ein Testlauf durchgeführt wird, bei dem man ausprobieren will, ob sowas sinnvoll umgesetzt werden kann, und vorallem wie.


    Weil ich nicht glauben konnte, dass ausgerechnet dieses Hinterwäldler-Bundesland mit einem solch Zukunftsweisenden Projekt um die Ecke kommt, habe ich das mal eben gegoogelt (Klick). Und nun sitze ich hier und bin sprachlos. :blink:


    Im Koalitionsvertrag der neugewählten Landesregierung gibt es tatsächlich eine Absichtserklärung, dass man sowas durchführen will. Unglaublich! Meine Frage ist nun: Wo kann ich mich dafür bewerben?


    Hm .... weiß jemand, ob in anderen Bundesländern und/oder Städten sowas auch geplant ist? Oder hat jemand Kenntnisse davon, was die bereits laufenden Testläufe in Nordeuropa bislang erbracht haben? Mich würde das mal interessieren .... :grübel:

  • Bin seit mehreren Jahren interessiert an einer größeren Debatte um das BGE.


    Letztes Jahr in der Schweiz gab es eine Volksabstimmung die leider gescheitert ist. Ich glaube etwas weniger als 25% waren dafür.


    In den Niederlanden sind einige Testläufe in bestimmten Städten schon Realität.
    Ebenfalls in Finnland ist das BGE Landesweit für bestimmten Testgruppen Alltag geworden, wobei die Ausschüttung weniger als 800€ ist, was selbst in Finnland nicht wirklich unabhängig macht.


    Trotzdem, es muss viel mehr dorthin geforscht werden bzw. auch in alternative Szenarien wie dieses. Mittlerweile ist nämlich auch ein große Skeptiker wie einst David Precht, Befürworter und spricht sich sogar in den Medien dafür aus.

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