Wirtschaftssysteme und -zusammenhänge - Globalisierung


  • Hohe Zinsen weniger Investitionen sinkendes Wirtschaftswachstum <-> Niedrige Zinsen hohe Investitionen steigendes Wirtschaftswachstum

    Ja aber beklagen sich nicht alle das trotz der seit Jahren niedrigen Zinsen keiner große Investitionen tätigt, weder der Staat noch die Wirtschaft. Alle hocken auf ihrem Geld, ja worauf warten die denn dann alle ?


    "Telling an atheist they're going to hell is as scary as a child telling an adult they're not getting any presents from Santa"

    -Ricky Gervais-


    "Arbeiten im Büro das ist wie Sex in der Ehe, am Anfang gibt man sich Mühe und hat Spaß und nach ein paar Jahren macht man immer das selbe und ist einfach nur froh wenn Feierabend ist"


    -Bernd Stromberg- :thumbsup:

  • Also ich bezweifle ja, dass die EZB diesem Gedankenspiel Taten folgen lassen wird.
    Einerseits wegen ihrer eigenen Statuten, welche eigentlich eine niedrige Inflation (unter 2%) vorsehen, andererseits wegen dem zu erwartenden Widerstand seitens zahlreicher Staaten. Gar nicht zu sprechen von der Möglichkeit dass ein wütender Mob die EZB-Zentrale niederbrennen könnte.


    Was man außerdem nicht vergessen sollte: Dieses Problem das die Wirtschaft eine Anhebung des Leitzinssatzes nicht verkraften könnte, bzw. die Inflation zu niedrig ist, ist kein Problem das in ganz Europa besteht, ganz im Gegenteil.
    In Teilen Ost- Nord- und Mitteleuropas ist die Inflation über dem erklärten Ziel der EZB (z.B. Estland mit 3,3%, das Ziel der EZB ist eine Inflation zwischen 1,5 und 2%).
    Im Grunde genommen gibt es genau ein EU-Land das die 0 Zins Politik wirklich noch braucht: Italien.
    Frankreich und Belgien bräuchten ebenfalls einen relativ niedrigen Zinssatz, allerdings nicht so dringend wie Italien.


    Momentan ist der EZB Cheff Italiener, im Oktober 2019 läuft seine Amtszeit allerdings aus, Mitte 2019 ist die Wahl zum europäischen Parlament, ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir 2020 eine Anhebung des Leitzinssatzes erleben werden.




    Ach ja, weil das Wort gefallen ist: Man kann dem Neoliberalismus viel vorwerfen, aber Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und Enteignung gehören definitiv nicht zu seinen Merkmalen.

  • Ach ja, weil das Wort gefallen ist: Man kann dem Neoliberalismus viel vorwerfen, aber Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und Enteignung gehören definitiv nicht zu seinen Merkmalen.


    Für wen machen die denn die Zinspolitik? Richtig, für die Wirtschaft. Wer schickt tausende Lobbyisten zum Staat, damit er immer möglichst genau das macht was man möchte? Richtig, die Wirtschaft.

  • dass ein wütender Mob die EZB-Zentrale niederbrennen könnte.

    Falls es soweit kommen sollte...von meiner Küche aus hätte man eine prima Sicht auf die Dinge. :) ...ich sollte mir vielleicht doch noch ein Opernglas anschaffen. :grübel: :D


    aber Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und Enteignung gehören definitiv nicht zu seinen Merkmalen.

    Da möchte ich dir widersprechen. Da möchte ich an die Treuhandanstalt bzw. Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben erinnern. Im Osten Deutschlands sind viele Menschen noch immer verärgert, weil Westfirmen -teilweise- für den symbolischen Preis einer Mark eine drohende Konkurrenz aufkauften und danach einfach dicht gemacht hatten. So geschehen z.B. bei Kali & Salz.


    Auch werden in NRW immer noch Dörfer umgesiedelt und die Grundstücke für den Kohle-Tagebau enteignet. Und das obwohl die Kohle eigentlich keine Zukunft mehr hat. :stimmt:



    Ansonsten sehe ich es wie du...das Finanzmodell mit negativen Zinsen wird nicht durchzusetzen sein.

  • @Fairas @Flavius Jolius
    Nur weil in Deutschland irgendeine Form des Wirtschaftspolitik durchgeführt wird, die negative Auswirkungen hat, ist diese Wirtschaftspolitik nicht automatisch neoliberal.
    Nicht das ich ein glühender Verfechter des Neoliberalismus wäre, bin durchaus der Meinung, dass die soziale Marktwirtschaft die besser Lösung ist, aber zwischendurch weden der Ideologie des Neoliberalismus schlicht Dinge angehängt mit denen er nichts zu tun hat.


    Direkte staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sind ein solcher Vorgang, Enteignung eine andere.
    Der Neoliberalismus deutscher Prägung (Ordoliberalismus) hat sich auch massiv gegen die Herausbildung von Kartellen ausgesprchen, das erwähnte Aufkaufen der Konkurenz in der eheamligen DDR ist dementsprechend mit den Ideen der neoliberalen Vordenker wie etwas Euken nicht vereinbar.


    Auch setzt sich der der Neoliberalismus tendentiell für Deregulierungen ein, Reagan z.B. hat den amerikanischen Bankensektor dereguliert. Der Trend seit 2008 hingegen war eine deutlich stärkere Regulierung des Bankensektors. Ein interesantes Beispiel wäre auch Trump mit seinen Handelskriegen, der Mann hat NAFTA aufgekündigt, ein Abkommen dass zur Blütezeit des Neoliberalismus verabschiedet wurde.
    Und es ist dann doch etwas schwer, dem Neoliberalismus gleichzeitig Privatisierung und Verstaatlichung, Regulierung und Deregulierung sowie Freihandel und Protektionismus vorzuwerfen.

  • Geschätzter Kollege, mir ging es nicht um den Neoliberalismus oder Turbokapitalismus an sich. Klar...wir leben hier und jetzt. Ich sehe es allerdings eher allgemein. Staatliche Eingriffe und Enteignung gibt es in allen Systemen. Ob das kalkulierte Schulden des Staates sind um eine versteckte Subvention durch Kreditzinsen zu fördern oder der "Klassiker": Verstaatlichte Betriebe im Kommunismus.



    btw.: Du hast im letzten Beitrag acht mal das Wort "neoliberal" verwendet. Schreibst du gerade eine Hausarbeit in VWL oder Wirtschaftsrecht? :)


    gehören definitiv nicht zu seinen Merkmalen.

    Apropos: Definiere "Merkmal". Wenn etwas zwanzig Jahre regelmäßig auftritt oder in 50 Jahren in, sagen wir, zwei großen Schüben/Epochen statt findet? Ich glaube da beißt sich der Hund dann in den Schwanz.


    Nochmal das Beispiel Ex-DDR: Warum hat man dir, mir oder Max Mustermann nicht 20 Plattenbauten für eine Mark überlassen? Da hätte man von heute auf morgen ein Immobilienunternehmen mit einer großen Kreditwürdigkeit durch Grundstücke und Bauten. Oder größtenteils wenigstens seinen ursprünglichen Eigentümern/Erben?
    Im Endeffekt ist dann halt eine wirklich "Freie Marktwirtschaft" nicht gewollt...sondern die Kontrolle im etablierten "Bereich" und Umfang. Dessen weitere Förderung läßt dann die Finanzkontrollen wie die EZB über so einen Unfug nachdenken um die "Blase" zu erhalten bzw. nicht platzen zu lassen. Um den Kreis mal zu schließen. :)


    Ich hoffe jetzt mal man versteht wie ichs meine. :) Das ist der Vorteil vom FT...da sitzt man sich gegenüber. :wink:

  • Liest sich sehr beeindruckend. Verstehen tue ich es dennoch nicht. Warum hebt man nicht einfach die Zinsen mal wieder an. Was soll denn dann genau passieren?

    Ja tut es. Vicious hat hier einen besseren Durchblick als die meisten VWLer. Respekt dafür.


    Um auf die Frage mal dediziert einzugehen:


    Sagen wir mal du kommst auf die Idee ein Logistikunternehmen zu gründen. Du brauchst also einige wenige Fahrzeuge, ein Grundstück etc. Eine Runde Million. Die leihst du dir bei der Bank. Die Bank gibt dir, weil sie dich mag und du 100.000 selbt mit einbringst, einen Zinssatz von 2%. Diesen Zinssatz musst du bedienen können. Abzahlen, nicht so wichtig. Man kann sich umschulden (viele kleine Logistikunternehmen machen das genauso). Du musst also nach Abzug aller Kosten (wie Gehältern, usw.) 2% Marge einfahren um die Zinsen für dein Darlehn zahlen zu können.
    Der Logistikmarkt ist sehr stark umkämpft. Es bestehen hier Überkapazitäten und grenzübrgreifende Konkurrenz. Du kannst also nicht einfach sagen, du willst nun 3% oder 5% Marge.
    Wenn die EZB jetzt also den Leitzins anhebt, sagen wir mal auf 2%, dann wird sich die Bank auf eine Klausel in deinem Vertrag berufen der ihr, nach kurzer Frist, erlaubt diesen Leitzins an dich weiter zu geben. Dann wird aus deinem Darlehn mit einem Zinssatz von 2% ein Zinssatz von 4%.
    Wenn dein Unternehmen aber nur geradeso die 2% bedienen kann, dann werden von den 4% entweder a) das Eigenkapital aufgefressen oder b) du gehst gleich bankrott.


    Wir haben durch den dauernden 0% Leitzins einen Haufen Zombiunternehmen (die heißen auch in der Fachliteratur oft so) deren Gewinnspanne so gering ist, das sie bei einer moderaten Zinserhöhung sofort pleite gehen. Wir reden hier von - geschätzt - 10-15% der jetzigen Unternehmen. Das Problem, vor dem viele Ökonomen schon seit der "Nulllinie" warnen ist, das diese Zombies jedes Jahr bei dem wir den Zinssatz so niedrig halten, immer mehr werden.


    Früher wurde die Ökonomie über den Zinssatz gesteuert. Lief die Ökonomie in einem Land sehr gut, entstand z.B. Inflation (andere Geschichte, ein andermal). Um das Inflationsziel zu halten und die Ökonomie vor dem "Überhitzen" (Überhitzte Ökonomien neigen zur Blasenbildung wie Imobilien- und Aktienblasen) zu schützen wurde der Leitzins angehoben - so gingen Unternehmen die unter einer bestimmten Profitabilitätsschwelle lagen pleite - das dämpfte die Wirtschaft und hielt den Arbeitsmarkt unter der defakto Vollbeschäftigung.


    Ein spezielles Problem des Euroraums: Die Volkswirtschaften von Deutschland, Frankreich und Italien sind ziemlich groß. Aber sie laufen nicht synchron. Wärend z.B. in Italien rezi ist, boomt Deutschland. Bedeutet das man den Leitzins in Deutschland nun anheben muss, während er in Italien sinken müsste. Da wir aber eine Währung haben, haben wir auch nur einen Leitzins. Da Italien aber aus politischen Gründen nicht abschmieren darf, wird der Leitzins immer an den schwächsten angepasst. Das führt in wirtschaftlich stärkeren Ländern, wie Deutschland, Niederlande, Dänemark (um einige zu nennen) zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen.
    Man kann diese Verwerfungen politisch angehen - z.B. über den Mindestlohn aber a) ist das ein Notpflaster b) wurde das in Deutschland nicht getan (ich glaube das 90% der Politiker im Bundestag die einfachen eben beschriebenen Zusammenhänge nicht verstehen).
    Das Problem läuft bei Ökonomen Umgangssprachlich unter: "one size doesn't fit all".


    Mir ist bewusst das ich, gerade im ersten Teil, des Verständnisses halber, stark vereinfacht habe. Wollte keine 3000 Wörter schreiben.


    Beste Grüße


    TauPandur

  • Gut erklärt, jetzt habe sogar ich es verstanden.


    Dann befinden wir uns in Deutschland also eigentlich in einer Überhitzungsphase mit vermutlich ordentlicher Blase, können dagegen aber nix machen, weil die EZB Italien unterstützen muss. Vertrackte Situation.


    Und wie machen die USA das? Die werden ja sicherlich auch wirtschaftlich schwache und starke Bundesstaaten haben. Die leben doch auch alle vom Dollar. Dann müssten die ja die selben Probleme haben. Deswegen wahrscheinlich auch der Nullzins in den USA, richtig?


    Wenn wir in Europa also die Zinsen anheben, gehen Italien und viele Unternehmen pleite. Was einen Dominoeffekt auslösen könnte. Wenn das Spiel aber mit negativen Zinsen weitergespielt wird, gewinnen wir kurzfristig Zeit, kommen langfristig aber womöglich in noch viel größeren Schlamassel, da für Zombiunternehmen und Italien kein Anreiz zum Sparen besteht.


    Wir haben also die Wahl zwischen Mist und katastrophalem Mist. Oh man...

  • Und wie machen die USA das? Die werden ja sicherlich auch wirtschaftlich schwache und starke Bundesstaaten haben. Die leben doch auch alle vom Dollar. Dann müssten die ja die selben Probleme haben. Deswegen wahrscheinlich auch der Nullzins in den USA, richtig?

    Die Notenbank der USA hob in den letzten Jahren immer mal wieder die Zinsen an.


    Aber die Frage sollte nicht sein, wie machen die das in den USA.
    Der viel naheliegendere und passendere Frage ist: wie machen wir das in Deutschland?


    Und dann hast du deine Antwort.

  • Und wie machen die USA das? Die werden ja sicherlich auch wirtschaftlich schwache und starke Bundesstaaten haben. Die leben doch auch alle vom Dollar. Dann müssten die ja die selben Probleme haben. Deswegen wahrscheinlich auch der Nullzins in den USA, richtig?

    Gute Frage. Nicht so leicht zu beantworten wie die Letzte.


    Es gibt klare Unterschiede zwischen der USA und Europa. Ich beleuchte mal die, aus meiner Sicht, wichtigsten.


    In der Volkswirtschaft können dafür die Lohnstückkosten herangezogen werden. Das sind die Arbeitskosten die für ein bestimmtes Werkstück anfallen. Je nach Land fallen diese unterschiedlich aus.
    Lohnstückkosten werden von den grundlegenden Produktionsfaktoren beeinflusst: Boden, Arbeit, Kapital.
    Auf 1999 gemittelt haben sich die Lohnstückkosten je Land so entwickelt:

    (Grafik ist vom Finanzministerium)


    Es ist also pro Werkstück deutlich teurer in z.B. Griechenland zu produzieren. Solange das so ist, haben Länder mit niedrigen Lohnstückkosten - bzw. hoher Produktivität (oder sehr niedrigem Lohn), einen Vorteil gegenüber einem Land mit höheren Lohnstückkosten. Vor der Euroeinführung hat Italien, wenn es unproduktiv wurde, die Lira im Verhältnis zur Mark abgewertet, das war im Binnenhandel nicht schlimm, allerdings wurde es für Deutschland billiger in Italien zu kaufen, so wurde Italienische Firmen über Nacht wieder konkurrenzfähiger - während es deutsche Firmen auf dem italinischen Markt, wegen der nun stärkeren Mark und der damit einhergehenden höheren Kosten, es schwerer auf dem italinischen Markt hatten.
    Diese Möglichkeit existiert nach der Einführung des Euro nicht mehr. Dies war ein weiteres elementares Steuerungselement der nationalen Zentralbanken.


    Exkurs, Lohnstückkosten und Produktivität, gibt es da einen Zusammenhang? Diese Grafik zeigt dies gut:
    [spoil][/spoil]


    Aber warum ist z.B. der gleiche Betrieb, wenn er in Rom steht, weniger leistungsfähig als wenn er in Hamburg steht? (Für die Cracks hier, ich habe Boden und Kapital mal aus der Gleichung elemeniert und konzentriere mich auf den Faktor Arbeit)


    Weil die Arbeitsethik eine andere ist. Die Bruchlinie in der Produktivität respektive den gefilterten Lohnstückkosten laufen entlang der ehemaligen Religionsgrenzen, quer durch Europa und trennen den Katholisch/Ortodoxen Raum vom Protestansichen/Kalvinistischen/Anglikanischen Raum ab. Die Grenze läuft quer durch Nordfrankreich, umschließt die Schweiz, Deutschland, die Niederlande, Belgien, die skandinavischen Staaten.
    Um die protestanische Arbeitsethik zusammenzufassen: "Arbeit ist mein Himmelreich". (Wer mehr wissen will, Weber lesen) Während im Katholizismus (und heute im Islam) die körperliche Arbeit gescheut wurde, war in allen protestantischen Religionen keinerlei händische Arbeit verpöhnt.
    Aus dieser protestanischen Arbeitsethik hat sich die heutige moderene Leistungsgesellschaft entwickelt. Diese beeinflusst auch grundlegend wie produktiv wir sind, wie wir unsere Arbeit sehen (ein Polizist in Deutschland ist viel weniger bestechlich als z.B. ein Polizist in Rumänien, das liegt nicht nur an Lohn und Ausbildung sondern sehr stark am Selbstverständnis des Polizisten und dem Arbeitsethos (was ja auch nur ein Teil der Arbeitsethik ist).


    In den USA gibt es das Problem unterschiedlicher Auffassungen von Arbeit nicht. Die USA hat in allen Teilen der Gesellschaft die protestantische Arbeitsethik übernommen. Die grundlegenste ökonomische Einheit ist der Mensch und die Menschen in den USA ticken hier in der überwätigenden Mehrheit gleich. (Auch Heute sind 43% der Amerikaner noch Protestanten)
    Aber die Amerikaner haben viele Katholiken assimiliert. Warum funktioniert das in Europa nicht?
    Weil die assimilierung in Amerika kleinteiliger war. Sagen wir mal ein Ire (Katholisch) macht eine Fleischerrei in einem Dorf auf. Er arbeitet 4 Stunden am Tag und das nicht besonders schnell. Dann zieht ein niederländischer Protestant in das Dorf und arbeitet 12 Stunden am Tag besonders schnell in seiner Fleischerrei. Der Ire hat dann die Wahl: aufgeben, mehr arbeiten, sich aufkaufen lassen und zum Lohnarbeiter werden.
    In einem Mikrokosmos ist dieses Prinzip für Menschen anschaulich und verständlich.
    Sagt man aber heute einem grieschen Fleischer in Athen das er nun jeden Tag 4 Stunden länger arbeiten muss und erst mit 67 in Rente gehen kann weil der Fleischer in München viel besser arbeitet, wird er dem Argument wahrscheinlich nicht folgen können.
    Was in den USA als Integration im Mikrokosmos funktioniert hat, funktioniert im europäischen Makrokosmos nicht.


    Man könnte die Produkivität drücken (bzw. die Lohnstückkosten erhöhen) in dem wir in Deutschland den Mindestlohn z.B. auf 16 oder 18 Euro die Stunde, also den durchschnittlichen Lohn in Deutschland anheben. Das führt aber wieder zu einer großen Reihe an Problemen - angefangen damit das der Fleischer aus Athen nicht versteht warum sein Münchner Kollege das fünf oder sechsfache verdient.


    Unterschliedliche Arbeitsethen sind ein riesiges Problem. Neben den großen zweien kommt nun noch die islamische Arbeitsethik dazu. Ich glaube Drache hat man einen schönen Artikel dazu gepostet (anderer Kontext aber lesenswert und erklärt wunderbar warum Araber im Verhältnis zu Europäern nichts auf die Reihe bekommen): Why Arabs Lose Wars.


    ---


    Ein anderes Problem ist der mangelnde Europäische Patriotismus.
    Die USA haben eine Einigungsgeschichte - den Unabhängigkeitskrieg. Boston Tea Party kennt in den USA jeder. Bill of rights. George Washington. Kollektive Mythenbildung ist für die Staatenbildung unerlässlich. Den alle US-Amerikaner können sich am Ende des Tages auf eine Sache einigen: "Wir sind Amerikaner und das beste Land der Welt! - God's own country"
    So steht der Egoismus der Bundesstaaten hinter einem "Wirgefühl" zurück. Jeder hohe Politiker der zu sehr die z.B. "Ich bin Texaner/Kalifornier usw." Karte spielt, gilt schnell als unamerikanisch und damit - abgewählt.


    ---


    Die USA haben eine 200 jährige Geschichte. Wir Europäer können dies belächeln aber und es ist ein großes ABER es ist eine Einigunggeschichte. Der Krieg der Nord- gegen die Südstaaten in den USA war ebenso Identitätsbildend. Die Kriege in Europa waren dies nicht. Der zweite Weltkrieg hat den Politikern in Europa zwar bewusst gemacht das Europa zusammenstehen muss, eine Legendenbildung als Einigungskrieg etc. fand aber nie statt.


    ---


    Abschließend; Die USA laufen nicht vollkommen synchron. Aber eine, aus Sicht der Wirtschaft, homogene Bevölkerung ein sehr starker Patriotismus der "nationale" Egoismen zurückstehen lässt und eine über 200 Jahre andauernde Einigungsgeschichte haben uns die Amerikaner vorraus.


    Aus meiner Sicht kann die EU so wie sie jetzt existiert nicht funktionieren.
    Folgende Zukunfsszenarios sind für mich denkbar:
    1. Es ändert sich nichts, Geberländer werden immer mehr Schulden der Nehmerländer aufgeladen bis sie austreten oder kollabieren. Das tun wir gerade und mag noch 10 oder 15 Jahre gutgehen.
    2. Der Euro wird abgeschafft und nurnoch als Verrechnungswährung (die er mal war) eingesetzt, Schengen bleibt, wie auch das europäische Parlament erhalten und die Abstimmungsbemühungen bei Gesetzen, Vorschriften und Bestimmungen gehen weiter.
    3. Der Euro wird in einen Nord und einen Südeuro geteilt. Im Norden übernimmt Deutschland und die Niederlande die Führung. Im Süden Italien und Spanien. (Frankreich müsste man theoretisch teilen, kommt aber eher zum Nordeuro dazu) So gibt es zwei große Wirtschaftsräume wo vorher der größte Wirtschaftsraum der Welt war. Da die Nord und Südstaaten intern recht stark harmonisiert sind, kann nach einigen Übergangsjahren der Prozess der langsamen Annäherung beginnen.


    Ich hoffe auf Variante 2 oder 3. Die meisten Ökonomen favorisieren Variante 3. Aber unsere Politiker sind wohl für die Verehlendung Europas, wir steuern schon seit der Euroeinführung auf das Ende von Szenario 1 zu. Das wird in Krieg, Gewalt und Massenarmut enden wenn wir nicht die Kurve bekommen.


    Beste Grüße


    TauPandur

  • @TauPandur
    Kann es sein, dass deine Grafik zu den Lohnstückkosten Griechenland und Irland vertauscht?
    Oder ist es die Grafik der bpb die falsch ist?


    Allgemein denke ich dass du es dir mit deiner Einteilung Protestantische Arbeitsethik vs. Katholische/Orthodoxe/Islamische Arbeitsethik etwas einfach machst, Bayern z.B. ist katholisch steht aber wirtschaftlich besser da als so machnes protestantische Bundesland.
    Ich bin zwar durchaus der Meinung, das Arbeitsethik, Produktivität und Innovativität etwas mit der Kultur eines Staates zu tun haben (Religion ist dabei Teil dieser Kultur, wenn auch im Westen heute nur mehr ein kleiner), aber nicht nur. Die Geschichte (Stichwort Kommunismus), oder das politische System sind ebenfalls Einflussfaktoren die man nicht unterschätzen sollte.


    Zudem zeigt deine Grafik die Entwicklung, mit 1999 als 0-Punkt, man sollte allerdings nicht vergessen, dass die Lohnstückkosten in all diesen Staaten schon 1999 nicht die selben waren.


    Wenn man sich nämlich den Ist-Stand statt der Veränderungen ansieht, ist die Situation ein wenig anders.

    Da sind dan plötzlich die porestantischen Briten nur halb so produktiv wie die katholischen Polen.

  • Danke IWST, du nimmst mir die Antwort ab. Genau das wollte ich auch anmerken.


    Ja, die Arbeitsethik spielt sicher eine Rolle, aber bei Weitem nicht mehr so ausschließlich religionsbasiert, wie das vielleicht früher in einigen Regionen (v.a. Niederlande, Preußen, Hamburg usw.) einmal der Fall war.


    Zumal man auch im Protestantismus bezüglich der Arbeitsethik durchaus differenzieren kann zwischen Calvinisten und Lutheranern bspw..


    Bayern wurde als Gegenbeispiel schon genannt. Die Gegensätze zwischen dem wirtschaftlich sehr erfolgreichen Norditalien und dem sehr ärmlichen Süditalien lassen sich so auch nicht erklären. Sowohl Norditalien (Venedig? Mailand?) als auch Süditalien sind beide seit jeher katholisch. Venedig und Mailand dürften wirtschaftlich aber durchaus mit den damaligen Niederlanden mitgehalten haben. Selbiges kannst du in Spanien mit Katalonien beobachten. Auch hier bildet die religiöse Arbeitsethik offenkundig keine taugliche Erklärung für die wirtschaftlichen Erfolgsunterschiede.


    Wobei ich zugestehe, dass das Arbeitsethos einer Gesellschaft ein extrem ausschlaggebender Faktor für ihren Erfolg ist, was uns bspw. asiatische Länder wie Japan oder heute China auch wieder vorführen. In den USA könnte man die Frage stellen, warum ausgerechnet das durch katholische Hispanics besonders stark geprägte Kalifornien zu einem der wirtschaftlich bedeutendsten US-Staaten gehört. Selbiges gilt übrigens auch für Florida, das durch eine starke katholische kubanische Exilanten-Minderheit mitgeprägt wurde und sich wirtschaftlich wohl recht deutlich von den restlichen Südstaaten der USA abhebt.


    Neben dem Arbeitsethos spielt aber eben auch die Konsummentalität und Opferbereitschaft einer Gesellschaft langfristig eine gewaltige Rolle. Investiere ich mein Vermögen sinnvoll und sparsam, um es zu mehren und meinen Besitz auszubauen, zu sichern und zu pflegen oder verprasse ich meinen Reichtum für kurzfristige Vergnügungen, einen aufwändigen Lebensstil und wenig ertragreiche Ausgaben. Es macht eben langfristig einen Unterschied, ob ich mir ein Schloss baue und (unnötige) Kriege führe oder ob ich das Geld für Straßen, Schienen, Kanäle und Schulen nutze.
    Es macht einen großen Unterschied, ob ich auf einen Staatshaushalt achte, der ein Staatsvermögen aufbaut (wie z.B. Friedrich Wilhelm I.; Konrad Adenauer bis 1962) oder ob ich Jahr um Jahr mehr ausgebe als ich einnehme (Ludwig XIV.; Friedrich II.; nahezu alle Bundesregierungen seit 1962). Jedenfalls bin ich dieser Überzeugung. Langfristig erfolgreiche Gesellschaften investieren aus meiner Sicht vor allem intensiv in vier Bereichen: Bildung, Sicherheit, Infrastruktur und freier Handel und Warenverkehr. Zudem fordern Sie eine recht hohe Eigenverantwortlichkeit (Fleiß) ein, bei gleichzeitig hoher persönlicher Freiheit. (Letzteres wird vor allem gerade durch China zum ersten Mal wirklich in Frage gestellt in Bezug auf die Freiheit des Einzelnen.) Interessant wäre vor diesem Hintergrund die Untersuchung, inwieweit die konfuzianischen Wertevorstellungen maßgeblich sind, für ein in weiten Teilen Asiens stark ausgeprägtes Arbeitsethos, insbesondere hier im Vergleich zu katholisch (Philippinen) und islamisch (Indonesien) geprägten Gesellschaften.

  • Zu den USA:


    Es ist ein Land mit einer Spache und einem einheitlichen Bildungssystem. Wenn es in Milwaukee nicht mehr läuft zieht man halt nach Wisconcin.


    In Europa ist das theoretisch möglich, hat aber Aufgrund der unterschiedlichen Sprachen und der unterschiedlichen Bildungssysteme ein paar hohe Hürden, die dagegen wirken.


    Die Menschen in den USA sind aufgrund der einheitlichen Rahmenbedingungen deutlich mobiler, als in Europa.


    Die USA haben auch einen Länderfinanzausgleich, über den Staaten mit schlechter wirtschafts und damit steuerlage querfinanziert werden, sodass diese ihre Staatlichen Aufgaben weiterhin nachkommen können.
    Das gibt es in der Form in der EU nicht.



    Zu dem Quatsch mit der Religion: ich kenne 1.000.000 islamische Näherinnen, Cutter und Färber usw. die jeden Tag 12 bis 16 Stunden in der Fabrik schuften. Unterbrochen nur von 1 Stunde Mittagspause.
    Denen aufgrund ihrer Religion pauschal eine schlechte Arbeitsethik vorzuwerfen halte ich für falsch, oder sogar niederträchtig.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!